Im Vorfeld des Bundesparteitages der Linken im Oktober in Halle machen wir uns große Sorgen
um die Zukunft der Linken. Die Linke befindet sich in einer selbstverschuldeten,
existenzgefährdenden Krise. Die Linke ist auf Anpassungskurs und auf die Verteidigung von
Parlamentsmandaten fixiert. Wenn Die Linke so weiter macht und ihre Politik nur auf kurzfristige
Wahlerfolge, statt auf langfristige gesellschaftliche Veränderungen ausrichtet, wird sie nicht nur
noch mehr Zustimmung in der Bevölkerung verlieren, sondern macht sich überflüssig und wird
implodieren. Die folgenden Thesen sind als Diskussionsgrundlage für eine Analyse der
gesellschaftlichen Verhältnisse und der daraus für eine sozialistische Partei anstehenden Aufgaben
gedacht.
1. Die krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus ist für immer mehr Menschen unübersehbar. Eine
Krise folgt der nächsten. Finanzmarktkrise, Corona, Klimakatastrophe und zunehmende
Auseinandersetzungen und Kriege um den Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Einflusssphären.
Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, die Menschen vor Hunger, Wassermangel, den Gefahren
des Klimawandels und von Massenerkrankungen zu schützen. Millionen von Menschen fliehen vor
den Folgen des Klimawandels oder vor Kriegen. Die Industrienationen machen ihre Grenzen für
die Menschen dicht, die vor den Folgen der kapitalistischen Entwicklungen fliehen.
2. Der Krieg als Fortsetzung imperialistischer Politik ist von der Peripherie wieder ins Zentrum der
Großmächte gekommen. Deutschland will als lange Zeit führende Wirtschafts- und Exportmacht
in der EU beim Zugang zu den Ressourcen und Märkten in Zentralasien und dem Rest der Welt
eine zentrale Rolle spielen und ist deshalb bei den Waffenlieferungen an die Ukraine und dem
Versuch, Russland zu ruinieren, an vorderster Front dabei.
3. Der Krieg um die Ukraine ist ein Konflikt zwischen dem mächtigsten kapitalistischimperialistischen Block auf der Welt, den Vereinigten Staaten mit seinen europäischen
Verbündeten, darunter auch Deutschland, einerseits, und Russland, einer ökonomisch und
militärisch weitaus schwächeren und geschwächten und deshalb umso aggressiveren
kapitalistischen imperialistischen Macht andererseits.
4. Die USA rüsten sich bereits für die nächste große kriegerische Auseinandersetzung gegen das
wirtschaftlich aufstrebende China. Auch da ist die Bundesregierung und ihr Kriegsminister vorne
dabei und schickt Kriegsschiffe in den Pazifik.
5. Eine starke Linke, die sich für Frieden und soziale und Klimagerechtigkeit einsetzt, ist in dieser
zugespitzten Situation der Auseinandersetzungen dringend notwendig. Sozialismus oder Barbarei
steht auf der Tagesordnung.
6. Aber Die Linke duckt sich weg und ist zu klaren Positionen gegen Aufrüstung und Krieg, gegen
die Macht des Kapitals nicht in der Lage. Die Linke befindet sich in einer selbstverschuldeten
existenzgefährdenden Krise. Sie ist auf Anpassungskurs und auf die Verteidigung von
Parlamentsmandaten fixiert. Die Wahlergebnisse bei den EU Wahlen und den Landtagswahlen in
Thüringen, Sachsen und Brandenburg sprechen eine deutliche Sprache. Die Linke ist zwar immer
noch eine der mitgliederstärksten linken Parteien in Europa. Aber viele Genossinnen und
Genossen sind verunsichert, haben sich zurückgezogen und sind passiv. Sie fragen sich, ob es
sich noch lohnt, für Die Linke weiter zu kämpfen, und warten ab.
7. Die Linke macht nur noch Stellvertreter*innenpolitik und hat ihr eigentliches Ziel, den Aufbau
von Gegenmacht und den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft, aus den Augen verloren. Es
fehlt an Klassenbasis und Klassenorientierung. Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist es mehr
als wahrscheinlich, dass die Partei nicht nur noch mehr Beachtung, Bedeutung und Zustimmung
in der Bevölkerung verlieren wird, sondern implodieren und sich über kurz oder lang auflösen
wird.
8. Die Linke kann nicht Krise. Von den Krisen der letzten Jahrzehnte, angefangen mit der
Finanzmarktkrise über die Migrations- und Klimakrise bis zum Krieg Russlands und der NATO um
die Ukraine, hat es Die Linke nicht geschafft, in diesen Krisen mit klaren und eindeutigen
Positionen gemeinsam mit den vielen Mitgliedern und Bewegungen Kämpfe für gesellschaftliche
Veränderungen zu organisieren. Stattdessen übernimmt sie lieber mit Formelkompromissen die
Rolle der Retterin des Kapitalismus.
9. Auf dem kommenden Bundesparteitag im Oktober geht es um die grundsätzliche strategische,
programmatische und strukturelle Ausrichtung der Partei. Rücken wir Krieg und Frieden in
Verbindung mit den Themen Soziales und Sozial-ökologischer Umbau in das Zentrum unserer
Politik oder bleibt es beim „weiter so“? Werden wir eine Mitgliederpartei oder überlassen wir die
Weichenstellungen weiterhin den Parlamentarier*innen und den Hauptamtlichen im Apparat? Sind
wir für die Befristung von Mandaten und die Trennung von Amt und Mandat?
10. Zugespitzt formuliert: Hauptverantwortlich und damit entscheidend für den Niedergang und
die fehlende Zustimmung ist die fehlende Klassenbasis und Klassenorientierung. Sie ist die
Ursache für die falsche programmatische Ausrichtung der Partei zu Krieg und Frieden. Alle
Wahlanalysen bestätigen, dass die Kriegsfrage die wahlentscheidende Frage war. Die Taktik der
Partei auf Bundesebene war aber, sich in der Frage Ukraine-Krieg nicht zu positionieren. Es gab
keine wirkliche Analyse über die Interessenlage in der Ukraine. Die Parteiführung ist weggeduckt
und hat die Deutungshoheit anderen überlassen. Diese wahltaktische Ausrichtung muss sich
umgehend ändern. Die Linke muss den Charakter der Kriege als imperialistische Kriege um Macht
und Einflusssphären benennen.
11. Gleiches gilt für den Nahostkrieg. Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, gegen das
völkerrechtswidrige Vorgehen der israelischen Regierung und Armee gegen die Zivilbevölkerung in
Gaza und auch auf Nachbarländer gibt es seit Monaten viele Proteste gerade von jungen
Menschen. Für diese Protestierenden ist Die Linke keine Ansprechpartnerin. Der genozidale Krieg
gegen die Bevölkerung in Gaza wird genauso wenig benannt wie die Repression gegen die
Solidaritätsbewegung in Deutschland
12. Außerdem hat die Partei keinerlei Vorbereitung auf die in Folge des Ukraine Kriegs absehbare
gesellschaftliche Krise mit all ihren Verwerfungen (Inflation, Kürzungsprogramme) getroffen.
Infolgedessen wurden die Auswirkungen von Aufrüstung und Sozialabbau (Kanonen statt Butter)
auch nicht in direkten Zusammenhang mit dem Krieg gebracht. Die „Kampagne“ zum „heißen
Herbst“ 2022 vermied konsequent, steigende Preise und mangelnde soziale Abfederung in
Verbindung mit den Rüstungsmilliarden zu bringen.
13. Die Thematik Kriegswirtschaft und Kriegstüchtigkeit wird an Bedeutung zunehmen. Das
Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr in Höhe von 100 Mrd. Euro wird in einem
Jahr aufgebraucht sein. Bleibt es bei der Schuldenbremse, geht es beim nächsten
Bundeshaushalt 2026ff noch mehr ans Eingemachte. Die finanziellen Mittel für weitere Aufrüstung,
Waffenlieferungen und Ertüchtigung der militärischen Infrastruktur können im Wesentlichen nur
aus dem Etat des Arbeits- und Sozialministeriums kommen. Zugespitzt lautet dann die Frage:
Krieg oder Soziales?
14. Gleiches gilt für den Sozial-ökologischen Umbau: In Sachen Energiepolitik sind zur Freude der
fossilen Konzerne alte Zeiten angebrochen. Kohlekraftwerke bleiben länger am Netz. LNGTerminals für teures und vor allem klimaschädliches US-Fracking-Gas wurden gebaut.
Dahingegen wurden Mittel für einen umweltfreundlichen ÖPNV gestrichen oder
Investitionsprogramme für kommunale Wärmeplanungen erst gar nicht bewilligt. Die Bekämpfung
der Klimakatastrophe und der Ausbau der erneuerbaren Energien bleiben auf der Strecke.
15. Gesellschaftliche Veränderung zu erzielen muss das zentrale Ziel der Linken sein. Das gelingt
nicht, indem durch Blick auf Umfragen untersucht wird, in welchen Themen wir vermeintliche
gesellschaftliche Mehrheiten hinter uns haben, um diese dann in den Mittelpunkt unserer
Wahlkampagnen zu stellen. Stattdessen sollten Mehrheiten für Linke Themen durch Bündnisse
und Mobilisierungen hergestellt werden. Die Mehrheiten gegen die Agenda-Politik, Hartz IV und
den Sozialabbau der Schröder-Regierung sind durch zunächst kleinere und dann größere
Bündnisse aufgebaut worden. Ein solcher Aufbau von Bündnissen zu zentralen Linken Anliegen
wie soziale Gerechtigkeit, Frieden, Klima und Antifaschismus findet aus der Partei heraus kaum
statt. Er ist aber Grundvoraussetzung dafür, wieder gesellschaftlich relevant zu werden.
16. Die Linke muss Kurs als Friedenspartei halten und zusammen mit den Resten der
Friedensbewegung und den Kolleg*innen in den Gewerkschaften eine zielgerichtete
Antikriegspolitik aufbauen. Sie muss sagen was ist und Streiks gegen die Rüstungsindustrie,
Blockaden von Waffenlieferungen, von Kasernen und Raketenstützpunkten organisieren.
17. Kriege werden nicht aus moralischen Gründen für Demokratie oder die Menschenrechte
geführt, sondern es geht den imperialistischen Ländern immer um Rohstoffe, die Sicherung von
Handelswegen und Absatzmärkte, es geht um Profite.
18. Wenn sich das kapitalistische System selbst immer wieder in Frage stellt, muss Die Linke an
den Eigentums- und Machtverhältnissen rütteln mit dem Ziel der Überwindung des Kapitalismus.
Dafür muss sie sich in allen Bereichen des Lebens verankern. Um Gegenmacht aufzubauen, muss
sie am gesellschaftlichen Bewusstsein arbeiten und den Fokus auf eine klare klassenorientierte
Politik ausrichten.
25.09.2023
Christine Buchholz, Ex-MdB Die Linke
Özlem Alev Demirel, MdEP Die Linke
Ulrike Eifler, Bundessprecherin der BAG Betrieb und Gewerkschaft
Kathrin Flach-Gomez, Landessprecherin Die Linke Bayern
Stefanie Hänisch, Sprecherin LAG Frieden und internationale Politik Hessen
Claudia Haydt, Vizepräsidentin der Europäischen Linken EL
Inge Höger, Ex-MdB Die Linke
Nils Böhlke, Bundessprecher der BAG Betrieb und Gewerkschaft
Tobias Pflüger, Ex-MdB Die Linke und Ex-MdEP
Hubertus Zdebel, Ex-MdB Die Linke
Bisherige Unterstützer*innen
Angela Bankert, KV Köln, Gründungsmitglied WASG NRW
Nina Eumann, ehemalige Landessprecherin Die Linke NRW
Alexandra Mehdi, Vorstand Die Linke Solingen
Helena Pantelidis, Mitglied des Landesvorstands Baden Württemberg
Ortrud Philipp, Co-Sprecherin Die Linke Ratsfraktion Münster
Lucy Redler, KV Die Linke Neukölln
Ulrike Zerhau, Kreissprecherin Die Linke Solingen
Mirko Boysen, Kreissprecher Die Linke Freiburg
Rolf Breuer, Kreissprecher Die Linke Solingen
Armin Duttine, KV Berlin-Treptow-Köpenick, Ersatzdelegierter für den Bundesparteitag
Frank Eckgold, Vorstand Die Linke Solingen
Lukas Eitel, geschäftsführender Landesvorstand Bayern
Thies Gleiss, Bundessprecher:Innenrat der AKL
Dirk Jakob, Geschäftsführer KV Siegen-Wittgenstein
Maxi Kisters, KV Düsseldorf, Bundesvorstand DieLinke.SDS
Christian Köhler Pinzón, Landessprecher Kommunistische Plattform NRW
Frank Laubenburg, Bundessprecher die Linke queer
Claus Ludwig, KV Köln, Mitglied des Kölner Rates 2004-2014
Patrick Schorer, Erweiterter Landesvorstand Die Linke Baden Württemberg
Dirk Spöri, ehemaliger Landessprecher Die Linke Baden Württemberg
Ulrich Thoden, KV Münster, stellvertretender Landessprecher Die Linke NRW
Felix Wiese, Vorstand Die Linke Wuppertal
Wolfgang Zimmermann, KV Düsseldorf, ehemaliger Landessprecher Die Linke NRW (2007-2010)