Stellungnahme des Bundessprecher*innenrates der AKL
Parteitag der LINKEN am 18.-20. Oktober 2024 in Halle
Zurück vom Parteitag kommen hier ein paar erste Schlussfolgerungen.
1.
Der Parteitag war wie immer bei der LINKEN gut, oft zu gut organisiert. Das KL-Haus hat wieder tief in die (teure) Kiste von Rummelplatzklischees gegriffen, um US-amerikanische Parteitagsatmosphäre zu schaffen. Das ist eher peinlich, und diese Feuerwerk- und Trompeten-Spielzeuge sollten den Jungs und Mädels aus dem KL-Haus schlicht weggenommen werden.
Parteitage sollen Zeit und Raum für die Diskussionen der Delegierten über Anträge und auch zum Austausch bieten. Aber auch auf diesem Parteitag war der Anteil von „Promi-Reden“ wieder viel zu hoch (zu einzelnen Inhalten dazu weiter unten) und wie immer ohne Absprache mit dem Parteivorstand von der Regie eingebaut worden.
Es war eine gute Entscheidung, die Tagesordnung umzustellen und mit der Debatte über strittige Themen zu beginnen und relativ viel Zeit für eine Generaldebatte dazu zu haben.
Die dann folgende Leitantragsdebatte war wie erwartet weitgehend überflüssig. Bereits im Vorfeld des Parteitages gab es viele Stimmen, dass der vorgelegte Leitantrag der Aufgabe nicht gerecht wird, die Krise der Partei zu überwinden und sie für die kommenden Kämpfe gut aufzustellen. Darum gab es auch Anträge auf Nichtbefassung und Ersetzungsanträge. Man hätte sich die Zeit für die wichtigen Debatten über die strategische und programmatische Ausrichtung der Linken zu den aktuellen Entwicklungen in der Welt nehmen können. So gerieten die Beiträge zur Verlängerung/Zweitauflage der Debatte zu den wichtigen Einzelanträgen, oder sie waren absurdes Theater von Pro und Contra Spielen wie in US-amerikanischen Highschools.
Der Anteil von neuen Delegierten, darunter viele altersmäßig und nach Mitgliedschaftsdauer jungen Genossinnen und Genossen war erfreulich hoch. Allein das prägte den Parteitag und zeigte, dass die LINKE lebt.
2.
Die strittige Palästina-Frage, zu der es viele Anträge und Diskussionsbedarf gab, wurde sehr ausführlich in Vorgesprächen geklärt. Der zu dem Zeitpunkt noch nicht gewählte neue Vorsitzende Jan hat gezeigt, dass er professionell moderieren und Streitgespräche auf den Punkt bringen kann. Eine Fähigkeit, die nicht unwichtig ist, aber trotzdem nur eine gute Sekundärtugend bleibt. Aber durch seine eigenen Erfahrungen in Israel und Palästina brachte er auch viel Sachverstand ein.
Das Ergebnis der „Kompromiss-Verhandlungen“ (über die dahinterstehenden Fragen von Leben und Tod gibt es keine Kompromisse) ist einer der unleserlichen LINKE Positionspapiere, das zwischen richtigen Erkenntnissen und haarsträubenden Abwiegel- und Gleichsetzungsformulierungen schwankt. Aber es hat als Vorteil gegenüber allen vorherigen Texten des Parteivorstandes zum Nahost-Thema, dass damit eine praktische sich mit der palästinensischen Emanzipation solidarisierende Praxis möglich gemacht wird und zionistische Unterwürfigkeitsgesten verboten sind. Dazu gehören auch die Forderungen nach einem Stopp der Waffenlieferungen, für einen sofortigen Waffenstillstand, Schluss mit Besatzung, Vertreibung und Siedlungsbau!
Dennoch müssen wir feststellen, dass die LINKE nicht die nötige Klarheit in diesem seit Jahrzehnten andauernden Konflikt wagt. Es gibt zwischen dem israelischen Siedlerkapitalismus und -kolonialismus und seiner hochgerüsteten und von den imperialistischen USA und EU massiv unterstützten Armee einerseits und der palästinensischen Bevölkerung und ihren Organisationen im Kampf um nationale Selbstbestimmung keine Waffengleichheit. Dieser Krieg ist asymmetrisch. Die LINKE kritisiert selbstverständlich alle Verantwortlichen – die IDF wie die Hamas, die USA und Deutschland mit seiner Staatsräsion – aber sie ist trotzdem parteilich auf der Seite der Palästinensischen Bevölkerung. Dieser Krieg wurde ausgelöst durch die jahrzehntelange völkerrechtswidrige Besatzung Palästinas und der Blockade des Gazastreifens. Wir fordern die Einhaltung des Völkerrechts und ein Ende der Besatzung. Wir verwahren uns gegen die Gleichsetzung von Anti-Zionismus und Antisemitismus. Wir verurteilen die politisch-ideologische Instrumentalisierung der IHRA-Antisemitismus-Definition für eine beispiellose Zensur- und Behinderungskampagne gegen Aktive und Intellektuelle, die sich mit Palästina solidarisieren. Insbesondere in Deutschland bedroht diese Kampagne die demokratischen Freiheiten weit über das Thema Nahost hinaus.
Es wäre gut gewesen, wenn der Parteitag sich hier so klar positioniert hätte und entsprechende Einzelanträge angenommen hätte. Leider ist dies nicht geschehen. Neben dem „Kompromiss-Antrag“ wurden andere Anträge zum Thema Krieg und Nahost abgelehnt bzw. nicht behandelt. Die Debatte über dieses Thema ist folglich nicht zu Ende. Sie ist befreit von den gröbsten Fehlannahmen, geht aber ansonsten erst los.
3.
Der Leitantrag wurde angenommen, so what. Bei der Abstimmung per Handzeichen gab es gegenüber früheren Abstimmungen über solche Harmonisierunganträge deutlich mehr Nein-Stimmen. Ausgezählt wurde das nicht, was wir einmal mehr kritisieren, wenigstens bei „Leitanträgen“ sollte ein auf deren Basis gewählter Vorstand genau wissen, wie die Minderheit aufgestellt ist.
Anträge, den kompletten Vorschlag des Parteivorstandes zu ersetzen wurden abgelehnt, wie auch der Antrag ihn in den Bundesausschuss zu verweisen. Weil der Leitantrag völlig unzureichend war, gab es viele Änderungsanträge, die der alte scheidende Parteivorstand häufig ganz oder teilweise übernommen hatte. Sowohl die Übernahmen als auch die Debatte um die verbleibenden Änderungsanträge haben den Leitantrag nicht besser gemacht.
Die noch behandelten Änderungsanträge – die wie immer auf inhaltliche Schärfung und konkrete Festlegungen bei Forderungen und Positionen zielten – wurden abgelehnt.
Der beschlossene Leitantrag wird seinem Namen nicht gerecht, sondern nur abgeheftet werden.
4.
Die Debatte über das Bedingungslose Grundeinkommen war erwartungsgemäß temperamentvoll, aber es ist halt nur eine abgehobene Bekenntnisschlacht. Praktische Bedeutung hatte das BGE nie, die Debatte über das BGE nur extrem selten. So wird es auch in Zukunft bleiben. Es lohnt die ganze Aufregung nicht. Der Beschluss, die Sache mal wieder für offen zu erklären und auf eine kommende „Programmdebatte“ zu verschieben, ist so richtig wie harmlos. Auf eine Neuaufführung nach den Bundestagswahlen…
Der Parteitag beschließt die Unterstützung des „Berliner Appells“ gegen die Stationierung neuer Langstreckenraketen in Deutschland. Dieser Beschluss, der zu konkreten Handeln in der unmittelbar nächsten Zeit verpflichtet, passte dem alten PV nicht, der neue PV wird ihn hoffentlich ernsthaft umsetzen.
Der Parteitag begrüßte auch mit großer Mehrheit die Verbotsinitiative bezüglich AfD. Die AKL-Delegierte hat gut die Bedenken und Gegenargumente zu dieser Verbotskiste eingebracht. Es ist zu befürchten, dass die Verlagerung der Auseinandersetzung mit der AfD auf das juristische Hinterzimmer die viel wichtigeren Mobilisierungen gegen die AfD in allen gesellschaftlichen Bereichen verdrängen werden. Die AfD wird dadurch in eine durchaus willkommene Märtyrerrolle schlüpfen können, die ihr noch mehr Zulauf bringen wird. Und letztlich zeigen die historischen Erfahrungen, dass ein Parteienverbot gegen rechte Parteien auch schnell in solche gegen linke Parteien verlängert werden kann.
Der Parteitag unterstützt eine Solidaritätserklärung zum Thema Westsahara. Das ist insofern wichtig, dass hiermit ein weiterer internationaler kolonialistischer Skandal aufgegriffen wird, in dem die EU eine unrühmliche Rolle spielt.
5.
Es wurden einige Satzungsänderungen beschlossen, die unstrittig waren. Am stärksten diskutiert wurden die Anträge der „Feministischen Offensive“, neue, befristete Sanktionen unterhalb des Parteiausschlusses bei Übergriffigkeit, sexistischen Ausgrenzungen usw. möglich zu machen. Viele Delegierte haben dabei immer noch das Missverständnis, dass es sich dabei um „Strafmaßnahmen“ irgendeiner Kontrollinstanz handeln würde. Darum geht es aber gar nicht: Es sind aufgrund der vielen realen Erfahrungen, dass auch in einer linken Organisation patriarchalische und sexistische Strukturen vorhanden sind und immer wieder aufbrechen können, Maßnahmen, die einen sofortigen Schutz von betroffenen Personen ermöglichen, denen erst danach ein faires, „rechtstaatliches“ Verfahren folgen kann.
Die Anträge zu strittigen Fragen bei den Statutenänderungen – Erneuerungsquote bei der Aufstellung von Listen zu Parlamentswahlen, Bundesausschuss Neubestimmung, Internationale Kommission-Erweiterung – wurden nicht angenommen oder zurückgezogen.
6.
Zu den Vorstandswahlen:
Jan van Aken (Hamburg) und Ines Schwerdtner (Sachsen-Anhalt) wurden erwartungsgemäß als neue Vorsitzende gewählt, die Stimmenanzahl war eher höher als zu erwarten war.
Schatzmeister wurde Sebastian Koch aus Berlin.
Bundesgeschäftsführer wurde Janis Ehling (Berlin).
Stellvertretende Vorsitzende wurde Ateş Gürpinar, der das schon zuvor war, Dazu kommen drei mehr oder weniger Realo-Politiker:innen: Sabine Ritter aus Hamburg, Luise Neuhaus-Wartenberg aus Sachsen und Max Schirmer aus Berlin.
Jugend-, und SDS Vertreterinnen wurden Lisa Pfitzmann und Margarita Kavali.
Zu dieser Zehnerrunde kommen 16 Beisitzer:innen:
Gewählt wurden Alex Kauz (Baden Württemberg), Wulf Gallert (Sachsen-Anhalt), Theo Glauch (Bayern), Lorenz Gösta Beutin (Schleswig-Holstein), Candy Boldt-Händel (Brandenburg), Thies Gleiss (Nordrhein-Westfalen), Markus Pohle (Sachsen), Hennis Herbst (MeckPomm), Margit Glasow (Brandenburg), Katharina Dahme (Niedersachsen), Olga Fritzsche (Hamburg), Nina Eumann (Nordrhein-Westfalen), Sabine Berninger (Thüringen), Naisan Raji (Hessen). Kathrin Gebel (Saarland), Ulrike Eifler (Bayern).
Insgesamt ist der geschäftsführende Parteivorstand gegenüber seinen bisherigen Auftritten etwas nach rechts gerückt, der erweiterte Parteivorstand etwas nach links. Aber das heißt nicht viel. Schon die strategische Ausrichtung beim nächsten Bundestagswahlkampf wird da neue Allianzen hervorrufen.
Dass Ines Schwerdtner auf jeden Fall auch in den Bundestag will (im Wahlkreis von Gesine Lötzsch), wird ihre Rolle als Parteivorsitzende sofort wieder extrem schwächen. Jan van Aken hat sich noch nicht festgelegt, ob er auch kandidieren will. Wir hoffen, dass er sich auf den Parteivorsitz konzentriert.
Die Wahlkampagne 2025 wurde auf dem Parteitag in ihren Grundstrukturen vorgestellt. Die LINKE will – ähnlich der KPÖ in Teilen von Österreich – sich selbst als aktive und aktivierende Partei in den Mittelpunkt stellen. Die „menschennahen“ Themen wie Wohnen, Arbeit und Gesundheit sollen deshalb im Mittelpunkt stehen, praktisch vor allem durch das „Canvassing“ (Haustürgespräche). Das reicht für eine politische Strategie natürlich noch nicht aus. Die Debatte darum wird jetzt aber losgehen.
Gastredner:innen auf dem Parteitag waren unter anderen Frank Werneke von Ver.di, Sarah Lee Heinrich, die zurück- und ausgetretene Ex-Bundessprecherin der Grünen Jugend, und Gerhard Trabert, Kandidat der LINKEN zur Bundespräsidentenwahl und EU-Wahl.
Spezial-Redner waren Bodo Ramelow und Gregor Gysi. Es gibt im Karl-Liebknecht-Haus immer noch die Nostalgiker, die meinen, eine Partei braucht einen Retter, um zu überleben. Bodo R. hat sich bemüht, radikaler zu sein, als seine reale Politik der letzten Jahre, aber niemand sollte das als Selbstkritik verstehen, er ist und bleibt Sozialdemokrat. Gregor Gysi lieferte wieder seine ausgelutschte Ego-Show ab und kündigte an, er werde mit Bodo und Dietmar Bartsch persönlich dafür sorgen, dass drei Direktmandate für die LINKE gewonnen werden. Diese Attitüde des „Wir retten die Partei“ ist mittlerweile schon kurzfristig schädlich für den Aufbau einer lebensfähigen und nachhaltig politisch einflussreichen Partei.
7.
Was bleibt als Fazit? Die LINKE lebt noch. Der Erwartungsdruck insbesondere der vielen neuen und jungen Mitglieder ist groß. Gleichzeitig ist der politische Druck von außen und durch die Konkurrenz (zu der kurzfristig auch noch die rechte Abspaltung BSW gehören wird) sehr groß.
Der neue Parteivorstand hat deshalb viel zu tun, um eine handlungsfähige Partei neu auszurichten. Eine handwerklich etwas gelungenere Wahlkampagne zur Bundestagswahl 2025 wäre deshalb nicht schlecht, reicht aber längst nicht aus.
Wir von der AKL empfehlen unsere To-Do-Liste, die wir im Vorfeld der Parteitagsdebatten veröffentlich haben. Sie ist immer noch aktuell und Schritt für Schritt umsetzbar.
Im neuen Parteivorstand sind mit Nina Eumann und Thies Gleiss zwei erfahrene Mitglieder der AKL. Sie verpflichten sich, am Aufbau einer solchen lebens- und liebenswerten Partei mit aller Kraft mitzuarbeiten.