KAPITALISMUSVERWALTUNG – SONST NICHTS
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), insbesondere seine Namensgeberin, hat schon in seiner Gründungslegende ausgerufen, dass Deutschland wieder „normal“ werden müsste. Dabei wird schmerzfrei die sprachliche und strategische Nähe zur AfD („Deutschland, aber normal“ war bekanntlich deren Wahlparole) in Kauf genommen. Kaschiert mit der nebulösen Formel „Für Vernunft und Gerechtigkeit“ wurde auf dieser Grundlage eine neue Partei gegründet, die es damit geschafft hat, innerhalb von neun Monaten in einer Landesregierung in Thüringen und bald auch in Brandenburg zu landen. So ein rasantes Eindringen in die Welt der bürgerlichen Krisen- und Politikverwaltung ist erstaunlich – nicht aber, weil es eine irgendwie alternative Kraft in die closed shops der bürgerlichen Politik geschafft hat, sondern wie schnell ein Laden wie das BSW sich wandelt und als einer der ihren bei den anderen Parteien akzeptiert wird. Niemand im BSW hat auch nur gezuckt, ob denn eine Koalition mit der Mutterpartei des Kapitalismus in Deutschland, der CDU, wirklich eine tragfähige Politik ermöglicht. Unterwerfung pur war angesagt.
Deutschland ist so normal geblieben, wie es der Kapitalismus erfordert und gestaltet, angepasst hat sich das BSW. Wie stark und im Grunde schon abgeschlossen dieser Anpassungsprozess ist, lässt sich am neuen „Koalitionsvertrag“ von CDU, SPD und BSW in Thüringen ablesen.
In einer Einleitung des 126 Seiten langen Werks wird das gemeinsame Bekenntnis der drei Parteien zur „politischen Mitte“ erklärt. Historische Wurzeln dieser „Mitte“ wären das Wirken vom fanatischen Antisemiten Martin Luther und die „friedliche Revolution gegen die DDR-Diktatur“. Es wäre ja vielleicht auch eine Zeile wert gewesen, sich auf die Tradition der ersten deutschen Arbeiterregierung in Thüringen 1923 zu beziehen, aber noch nicht einmal der SPD, die daran beteiligt war, ist das einen Gedanken wert.
Man grenzt sich von den „zwei deutschen Diktaturen“ ab, setzt sie allein dadurch schon gleich und demonstriert in jeder Zeile, dass sich am besten nichts ändern soll: Stabile Entwicklung, Sorge für alles und dass alles so weitergeht.
In späteren Textteilen werden weitere Bekenntnisse eingebaut: Gegen jeden „Extremismus“ (gab es da nicht mal eine kritische wissenschaftliche Hinterfragung des Begriffs „Extremismus“?). Für die „christlichen Werte“ als Grundlage der Gesellschaft, zu denen der Islam nur „dazugekommen“ sei. Für die bewährte soziale Marktwirtschaft und immer wieder für den Abbau der Bürokratie, die erstere stört. Kein Gedanke daran, was zum Beispiel „Bürokratieabbau“ für gewerkschaftliche und betriebliche Rechte und Möglichkeiten der Arbeitenden bedeutet.
Deutschland verteidigungsfähig halten
Mit Spannung wurde das Thema „Aufrüstung und Krieg“ und seine Bearbeitung im Koalitionsvertrag erwartet, soll das doch allen Ernstes von der Chefin Wagenknecht höchstselbst diktiert worden sein. Aber auch hier: Noch nicht einmal ein Stürmchen im Wasserglas, sondern auch nur Unterwerfung. Einem Bekenntnis zur „Verteidigungsfähigkeit Deutschlands“ wird das Sprüchlein angehängt, dass alle den Frieden wollen. Es soll mehr Diplomatie zur Befriedung des Krieges in der Ukraine stattfinden, aber über weitere Waffenlieferungen gäbe es einen Dissens. Über die Stationierung neuer Raketen in Deutschland gäbe es unterschiedliche Meinungen, weshalb eine breite Debatte darüber initiiert werden soll. Hier findet sich aber immerhin auch der lustigste Satz in der ganzen Vereinbarung: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition der Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“ Mit Gaga-Humor an die Regierungspfründe – auf geht’s.
Weiter so und prüfen, ob ein weiter so noch geht
Die einzelnen Themenkapitel, die dann folgen sind mit einer Ausnahme nur vage Bekenntnisse, dass es so wie die CDU und die SPD schon immer wollen, weitergehen soll.
Ich habe schon viele Koalitionsverträge gelesen, aber eine solche Häufung von „es soll so weitergehen wie bisher“ in allen erdenklichen Formulierungsformen habe ich noch nicht gesehen.
Mittelstandsförderung, Abbau von Bürokratie, keine Mehrbelastung für Unternehmen, aber nur unverbindliches Einsetzen für mehr Tarifbindung, keine Verbesserung des Tariftreuegesetzes, „Prüfen“, ob tarifgebundene Firmen einen „Bonus“ erhalten, technologieoffene Energiepolitik, Verpflichtung von Erwerbslosen zur gemeinnützigen Arbeit, gezielte Anwerbung von Fachkräften im Ausland (was ist eigentlich mit dem von Frau Wagenknecht immer angeprangerten „Brain drain“ aus den armen Ländern geworden?), „Experimentierklausel“ für einzelne Kommunen, dass sie Gesetze und Regelungen außer Kraft setzen können.
In der Bildungspolitik wird ein uneingeschränktes Bekenntnis zu den unterschiedlichen Schularten gegeben, alle sollen erhalten werden. Aber alle sollen sie leistungsorientiert sein. In den ersten Schuljahren sollen Fleiß- und Betragensbewertungen Praxis bleiben oder werden. Dort soll auch ein Handy-Verbot wirken sowie – das musste ja sein – das Gendern der Sprache verboten werden.
Alle im öffentlichen Diskurs problematisierten Themen werden nicht angesprochen: In der Hochschulpolitik wird die Frage einer Zivilklausel gar nicht erst gesehen. In der Verkehrspolitik werden alle Verkehrsträger geschützt – das übliche Synonym für Politik im Sinne der Autoindustrie und der Verbrennermotoren. Der Tourismus soll weiter so extensiv und klimaschädigend fortgesetzt und gefördert werden wie bisher.
Die verschiedenen Eingentumsformen in der Energieversorgung, dem Wohnungswesen und im Gesundheitswesen sollen erhalten werden. Rekommunalisierung von privaten Unternehmen ist aus dem Blickfeld verschwunden.
Wie zu befürchten war: Ein konkretes Kapitel ragt heraus
Es gibt aber ein Kapitel das in seiner Konkretheit herausragt und offenkundig das Herzstück der kommenden Politik in Thüringen sein wird, ganz im Sinne von CDU und BSW und zur Freude der AfD, von der dann wohl auch die fehlende Stimme bei Regierungsvorhaben kommen wird: Das Kapitel zur Migrationspolitik.
Darin wird ein Richtungswechsel in der Migrationspolitik gefordert und skizziert. Die Migration wird darin vorrangig als Sicherheitsproblem gesehen.
Es soll eine zentrale Behörde für Migration eingeführt werden, wohl ähnlich den bayrischen Anker-Zentren. Die europäische Flüchtlingspolitik (GEAS) soll unterstützt werden. Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen, Kontrollen an den deutschen Außengrenzen solange GEAS noch nicht wirkt, Ausweitung der Drittstaatenliste, z.B. mit den Maghreb-Staaten, keine Sozialleistungen für Ausreisepflichtige, flächendeckende Bezahlkarte für Geflüchtete, konsequente Durchsetzung von Abschiebungen sowie umfassende Fahndung nach Untergetauchten, Abschiebung von allen, die ihre Identität leugnen oder sich „nicht an Regeln halten“ – alle Schweinereien, die in den letzten Monaten und Jahren ausgetüftelt wurden, werden für Thüringen übernommen.
BSW als braver Erfüllungsgehilfe für die CDU
Die neue Regierung in Thüringen wird in vielerlei Hinsicht ein Labor für politische Maßnahmen und Projekte werden, die dann von einer möglichen CDU-Regierung im Bund und einem Kanzler Merz bundesweit ausgeweitet werden. In bestimmter Weise funktioniert die CDU-GRÜNE-Regierung in Nordrhein-Westfalen heute auch schon so.
Den drei Koalitionsparteien in Thüringen fehlt allerdings eine Stimme zur Mehrheit im Parlament. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die LINKE deutlich erklärt, dass für die politischen Absichten, die im Koalitionsvertrag angekündigt werden, keine Stimme gegeben wird.
Es ist aber sowieso anzunehmen, dass die AfD gerne die Stimme gegen das Ganze Systemgedusel der Koalitionsparteien erheben wird, aber bei den konkreten Einzelmaßnahmen mehr oder weniger still und heimlich zustimmen wird.
Wer wirklich linke, antikapitalistische Politik haben und machen möchte, wird in Thüringen in den nächsten Jahren aber mit voller Kraft auf Seiten der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition stehen.
Thies Gleiss, Köln 25. November 2024