PROGRAMM, PARTEITAGE UND EIN SKANDAL

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Bericht von der Parteivorstandssitzung vom 07./08. Dezember 2024 von Thies Gleiss, Mitglied der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN im PV

Am 07. Und 08. Dezember 2024 kam der Parteivorstand der LINKEN zu einer Präsenz-Sitzung zusammen. Anwesend waren 24 von 26 Vorstandsmitgliedern.

Alle Beschlüsse und Vorlagen sind in Kürze auf der Homepage der LINKEN nachzulesen

(https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2024-2026/beschluesse/)

  1. Zur aktuellen politischen Lage

Es war ein bewegtes Wochenende nach einer ereignisreichen Woche: Die Vorzeigebetriebe der deutschen kapitalistischen Industrie – Volkswagen, Thyssen-Krupp, Bosch, Schaeffler, Mahle und viele andere – sind in einer Kombination aus Überproduktions- und Absatzkrise mit einer ökologischen Krise in mittelprächtige Turbulenzen geraten. Zehntausende Jobs stehen auf der Kippe. Im Mutterbetrieb der Sozialpartnerschaft , bei VW, finden wütende Warnstreiks statt. Die IG Metall hat kaum einen Plan, wie sie den Widerstand gegen die Pläne der Konzernchefs organisieren kann. Es schreit geradezu nach „Politik“, nach einer betrieblichen, gewerkschaftlichen und parlamentarischen Offensive aller mit der Belegschaft solidarischen Kräfte, die sowohl die privaten Eigentumsverhältnisse als auch die Notwendigkeit einer ökologisch nachhaltigen Transformation, deren Kosten nicht auf die Belegschaften verlagert werden dürfen, im Fokus haben muss.

Auf internationaler Bühne ist die Regierung in Frankreich gestürzt. Die Linke in Frankreich hatte die Nase voll, und hat sich nicht mehr mit dem Scheinargument, wenn sie keine Ruhe gebe, würden nur die Rechten gewinnen, erpressen lassen.

In Südkorea, einem der wichtigsten Bündnisparter der Nato und der USA in Asien, ist ein Putsch gescheitert, was ein grelles Schlaglicht auf die undemokratischen Verhältnisse in diesem Land wirft.

Und in Syrien ist eine der furchtbarsten Diktaturen im Nahen Osten gestürzt worden. Als erste Maßnahme wurden die Gefängnisse von den Menschen gestürmt und Zehntausende kamen aus ihren Verliesen frei. Die hochgerüstete Armee ist fast über Nacht zusammengebrochen und Unmengen von Waffen werden neu verteilt, auch für die wenigen fortschrittlichen Gruppen in diesem Land (das ist die bessere Alternative zu Waffenexporten). Das sind Zeichen einer Revolution, aber angesichts der politisch rückständigen Kräfte, reaktionär religiös, frauenfeindlich und sektiererisch, die an vorderster Front das Sagen haben und sich vom türkischen Autokraten Erdoğan aushalten lassen, ist zu befürchten, dass wieder einmal das traurige Schicksal passieren wird, dass eine nur halbe Revolution immer zu einer ganzen Konterrevolution führen wird.

Leider konnte die kurze Debatte des PV zur politischen Lage auf diese weltbewegenden Entwicklungen kaum eingehen. Aber es wurde zum Ende der Sitzung noch einmal vereinbart, dass in Zukunft die LINKE und ihr Parteivorstand mehr und organisierter auf solche Ereignisse reagieren sollen.

2.Vom Parteitag im Oktober in Halle an den Parteivorstand überwiesene Anträge

Der letzte Parteitag hatte einmal mehr ein Paket von Anträgen, die nicht mehr behandelt werden konnten, an den Parteivorstand überwiesen. Aus diesem Paket wurden die Anträge behandelt, die auf den kommenden Wahlkampf und das Wahlprogramm Auswirkungen hätten. Die Antragsteller:innen zu diesen Anträgen waren zur Sitzung eingeladen oder via Videoschalte online dabei.

Im Mittelpunkt standen die Anträge, die das Thema Krieg, Aufrüstung und Friedenspolitik aufgriffen.

Der Antrag des Kreisverbandes Köln und anderen zur Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Deutschland (P19 in den Parteitagsunterlagen) wurde in einer vom PV geänderten Fassung angenommen.

Die Anträge zum gleichen Thema, aber umfangreicher und konkreter, von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik“ und anderen (G13), sowie von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft“ zur Politik gegen die „Zeitenwende“ im Wahlkampf (P07) wurden abgelehnt.

Der Antrag der „Bundesarbeitsgemeinschaft sanktionsfreie Mindestsicherung“ zur Anpassung der Höhe unserer Forderung nach einer Mindestsicherung (G03) wurde angenommen.

Der Antrag zur klareren Positionierung zum Thema Freiheit und Demokratie vom Kreisverband Recklinghausen (G11) wurde abgelehnt.

Der Antrag für eine Intervention im Parlament zur Wahlgesetzgebung vom Ortsverband Hamburg-Barmbek (P09) wurde angenommen.

Der Antrag vom Kreisverband Duisburg, dass das Wahlkampfmaterial mehrsprachig sein soll (P24) wurde in der vorliegenden Form abgelehnt, aber die Sache selber wird so weit wie möglich umgesetzt werden.

Der Antrag von „Cuba Si“ zur Solidarität mit dem bedrängten Kuba und weiterer internationaler Solidarität (G10) wurde angenommen.

  1. Wahlprogramm

Am Sonntag der Vorwoche hatte der geschäftsführende Parteivorstand einen sechzigseitigen Vorschlag für ein Wahlprogramm an die PV-Mitglieder versandt. Diese hatten dann bis Mittwochmittag Zeit, Änderungsanträge zu diesem Vorschlag einzureichen. Über diese Anträge  und den Gesamtentwurf wurde im größten Teil der PV-Sitzung diskutiert und entschieden.

Trotz dieses Hauruck-Verfahrens, was natürlich in letzter Instanz der SPD-Kanzler Scholz zu verantworten hat, wurden gut 200 Änderungsanträge von den PV-Mitgliedern eingereicht. Zu den Fleißigen zählte auch AKL-Mitglied Thies Gleiss, der, teilweise nach Beratung mit anderen AKL-Mitgliedern, eine Reihe von Änderungen vorschlug.

Sehr viele der Anträge waren kurze, oft nur redaktionelle Änderungswünsche in einzelnen Sätzen. Die meisten davon wurden vom antragstellenden gfPV übernommen. Längere Änderungsanträge wurden teilübernommen. Einige Anträge wurden auch abgelehnt, sie können jetzt in der Beratung der Gesamtmitgliedschaft noch einmal eingereicht oder verändert werden.

Die meisten Änderungswünsche gab es zu den Kapiteln „Friedenspolitik“ und „Klimapolitik“.

Eine längere Debatte gab es zum Komplex „Preiskontrolle“ als Mittel gegen die Inflation. Neben einer unstrittigen politischen Preiskontrolle durch eine entsprechende Behörde war strittig, ob im Mittelpunkt eine Senkung beziehungsweise Abschaffung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel, Bahnpreise und andere Produkte oder ein politisch eingeführter „Preisdeckel“, wie wir ihn für die Mieten fordern, stehen soll. Die Mehrheit im PV unterstützte die Position der Mehrwertsteuerabschaffung.

Für das Thema Aufrüstung, Krieg und Friedenspolitik wurde ein alternativer Kapitelentwurf als Tischvorlage eingereicht. Strittig darin war die Frage, ob es Sanktionen gegen Russland geben soll, sofern sie nicht die Menschen in Russland oder bei uns schädigen. Das wurde mit 13:7 Stimmen bejaht. Die Gesamtvorlage zu diesem Thema wurde mehrheitlich unterstützt, soll aber noch bis zum Parteitag verbessert werden.

Thies Gleiss und die AKL hatten vor allem drei längere Abschnitte als Änderungsantrag eingereicht: Erstens die Einfügung einer Präambel, nach dem persönlichen Vorwort der beiden Vorsitzenden, in der kurz und knapp unsere Ablehnung des kapitalistischen Wirtschaftssystems dargelegt wird. Der Kapitalismus  darf nicht das letzte Wort in der Geschichte sein.

Zweitens die Einfügung eines Extrakapitels am Ende des Programms, in dem unsere strategiesche Grundposition als Oppositionspartei und die fehlenden Koalitionsmöglichkeiten mit allen anderen Parteien aufgezeigt wird. Unsere Koalition ist die ganz große Koalition mit den Menschen, die für eine andere Politik kämpfen.

Drittens sollte im Kapitel über die Preiskontrollen ein Abschnitt eingefügt werden, der die Einführung einer automatischen Anpassung der Löhne an die Inflationsrate fordert, wie es in mehreren Ländern Europas noch Praxis ist (müsste allerdings besser ausgeformt sein) und wie es letztens auch Obersilberlocke Gregor Gysi gefordert hatte.

Leider wurden diese schönen Änderungswünsche abgelehnt, da sollte der Parteitag nochmal nachbessern. Abgelehnt wurde auch der Antrag von Thies Gleiss, das gesamte Kapitel zur Friedenspolitik nach vorne als erstes inhaltliches Kapitel vorzuziehen.

Nach mehrstündiger Beratung, aber noch am späten Samstagabend, wurde über den geänderten Programmentwurf abgestimmt. Er wurde mit 17 Ja, 0 Nein und 3 Enthaltungen angenommen.  Thies Gleiss hat sich enthalten.

Der Programmentwurf wird jetzt bis zum 11. Dezember 2024 an die Mitglieder der Partei verschickt werden. Bis zum 02. Januar 2025 müssen Änderungsanträge eingereicht werden. Dafür bieten sich also gesellige Diskussionsrunden zur Weihnachtszeit und Silvesterparties an.

Während der Programmberatung gab es als Auflockerung eine Präsentation über die neuesten Ergebnisse der Hausbesuche der LINKEN als Beitrag zum Vorwahlkampf.

Es gab einen Bericht der Linksjugend-Solid über ihren erfolgreichen Aufbau. Auch die Jugendorganisation gewinnt derzeit viele neue Mitglieder und verfügt über 200 Basisgruppen.

Und es wurden von der Bundeswahlkampfleiterin die Grundzüge der Wahlkampagne präsentiert. Es wird sechs Massenplakate zu den Themen unserer Wahlkampagne geben: Heizungs- und Energiefrage, Renten, Preissteigerungen, Klima, Frieden und Mieten.

Wir immer werden die Plakate das teuerste und am meisten überschätzte Element in der Wahlkampagne sein – aber der Streit, ob sie gut oder schlecht sind, brandet immer hoch. Das wird dieses Mal nicht anders sein. Der Berichterstatter hält sich da raus…

  1. Bundesparteitage

Der Parteivorstand beschloss die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags zur Beschlussfassung über das Wahlprogramm 2025 für den 18. Januar 2025 in Berlin. Der Parteitag wird eintägig von 11.00 bis 17.00 Uhr stattfinden.

Außerdem beschloss der PV die Einberufung des nächsten ordentlichen Parteitages für den 09.-11. Mai 2025 (Freitag und Samstag) nach Chemnitz. Dort wird über den Ausgang der Bundestagswahlen beraten, und es werden die Bundesschiedskommission und die Bundesrevisionskommision gewählt.

  1. Skandalöses Urteil der Berliner Schiedskommission

Am Sonntag vormittag gab es Besuch einer Delegation vom SDS bei Parteivorstand. Anlass war die Entscheidung der Berliner Schiedskommission, den Genosses Ramis Kilani aus der Partei auszuschließen. Das Verfahren der Schiedskommission geht auf einen Antrag der damals noch amtierenden stellvertretenden Parteivorsitzenden des Parteivorsitzenden zurück, diesen Genossen wegen seiner Aktivitäten und Meinungsäußerungen zur Solidarität mit Palästina auszuschließen.

Der Antrag von Thies Gleiss, weitere vor der Tür wartende Genoss:innen zur Sitzung zuzulassen, wurde abgelehnt.

Es gab eine längere Debatte, an der sich fast alle PV-Mitglieder und die Gäste beteiligten. Unstrittig war, dass der PV sich nicht in das laufende Schiedsverfahren einmischen darf, aber eine politische Bewertung muss er trotzdem vornehmen, allein deshalb, weil dieses Verfahren vom Vorsitzenden und der stellvertretenden Vorsitzenden losgetreten wurde, die dies nicht als Privatpersonen machen. Der Antrag zur Solidarität mit Ramsis Kilani wurde in einer stark abgeschwächten und harmlosen Version trotzdem mit Mehrheit abgelehnt.

Der Ausschluss eines Genossen wegen Meinungsäußerungen, die völlig zum Meinungskorridor der LINKEN in dieser Frage gehören, ist ein politischer Skandal und eine fatale Premiere in der LINKEN. Andere Meinungsminderheiten wurden in der Vergangenheit anders behandelt, und so sollte es auch bleiben. Mit Ausschlüssen die Partei zu bereinigen, ist eine Praxis, die keine Einkehr bei der LINKEN erhalten darf.

  1. Sonstige Beschlüsse

Es wurden eine Reihe von kleineren Beschlussvorlagen angenommen, überwiegend zur Arbeitsweise des PV (Termine, Zuständigkeiten, Kommissionen usw.).

Und es wurde die Unterstützung von Aktivitäten anlässlich des AfD Bundesparteitages in Riesa beschlossen.

 Thies Gleiss, 09.12.2024