Außerordentlicher Bundesparteitag der Partei Die Linke

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Stellungnahme des Bundessprecher:innenrates der Antikapitalistischen Linken

DER KLEINE GR0SSE UNTERSCHIED

Am 18. Januar 2025 fand in Berlin der außerordentliche Parteitag der LINKEN zur Verabschiedung eines Wahlprogramms zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar statt.

Die Diskussion und Schlussabstimmung über einen Entwurf des Parteivorstandes zum Wahlprogramm war der einzige Tagesordnungspunkt. Umrahmt wurde die Diskussion mit Stimmung machenden Beiträgen der Spitzenkandidat:innen Heidi Reichinnek und Jan van Aken sowie anderer Kandidierender.

Zum gut sechzigseitigen Entwurf des Wahlprogramms des Parteivorstandes wurden fast 600 Änderungsanträge gestellt. Antragsberechtigt sind Landes- und Kreisverbände, anerkannte Bundesarbeitsgemeinschaften und politische Zusammenschlüsse („Strömungen“) oder eine Mindestanzahl von Parteitagsdelegierten.

In einer aufgrund der knappen Zeit extrem gedrängten Großanstrengung wurde seit Jahresbeginn bis unmittelbar vor dem Parteitag mit dem Parteivorstand und den diversen Antragsteller:innen und moderiert von der „Antragskommission“ darüber verhandelt, ob Änderungsanträge ganz oder teilweise übernommen werden, und damit das Anliegen der Anträge Berücksichtigung findet. Ein Großteil der Änderungsanträge fand auf diese Weise Eingang in das Wahlprogramm. Zuletzt blieben etwa vierzig Änderungsanträge, über die der Parteitag noch entscheiden musste.

Die Entstehung eines solchen Programms ist zweifellos ein sehr demokratischer Prozess, an dem viele Basismitglieder der Partei gleichberechtigt beteiligt sind. Keine andere Partei kennt eine solche starke Einbeziehung der Mitgliedschaft. Bei der jüngsten Parteigründung zum Beispiel, dem aus der LINKEN abstammenden „Bündnis Sahra Wagenknecht“, wird das genaue Gegenteil praktiziert: Die komplette Ausschaltung der Mitgliedschaft – ein Status, den beim BSW ja sowieso nur eine winzige Gruppe aus vom Vorstand genehmigter Personen erreicht.

Wir von der AKL verteidigen diese Mitglieder- und Basisverbundenheit der LINKEN bei jeder Gelegenheit und gegen alle Angriffe von Technokrat:innen und „Reformer:innen“, die aus der Partei gerne einen effizienten Verwaltungsbetrieb zur Vorbereitung von Wahlkämpfen und Regierungsbeteiligungen machen würden. Wichtigster Programmpunkt der LINKEN ist und bleibt, dass sie selbst Teil der von der herrschenden Politik betroffenen Bevölkerung ist, dass sie keine Sonderinteressen von Politfunktionär:innen verfolgt. Auch wenn es viele immer wieder vergessen und in der Praxis nicht berücksichtigen wollen: Wir machen Politik in der ersten Person. Das ist der Inhalt unseres Selbstverständnisses, eine Klassenpartei zu sein, die Klassenpolitik verfolgt.

Das in der LINKEN etablierte Antrags- und Programmfindungsverfahren ist deshalb gut, aber es kennt auch Grenzen, deren sich die Partei für ihre weitere Entwicklung bewusstwerden muss. Alle Anträge werden dabei nämlich gleichberechtigt behandelt, egal ob es sich nur um die gewünschte Änderung eines Halbsatzes, einer Zahl oder um die Veränderung einer kompletten politischen Ausrichtung handelt. Solange die in der Partei existierenden Meinungsverschiedenheiten gering sind, funktioniert dieses Verfahren, bei größeren Differenzen wird es zu der von LINKEN-Parteitagen bekannten Schlacht um Änderungsanträge, wobei alle Beteiligten den aussichtslosen Kampf führen und gewinnen wollen, mit der Änderung eines Halbsatzes den kompletten Text neu auszurichten. Für den Parteivorstand, die Antragskommission und ursprüngliche Antragsteller:innen geht es dann nur noch darum, alle wirklichen Veränderungen zu verhindern und sich notfalls auf vage und ambivalente Kompromissformulierungen einzulassen.

Da es in der LINKEN eine Reihe sehr grundsätzlicher Differenzen gibt, schlagen wir von der AKL seit Langem vor, statt dieser Schlacht um Halbsätze eine geordnete Debatte entlang kompletter alternativer Positionen zu führen, die dann nicht Wort für Wort, sondern in der generellen Linie verabschiedet werden können. Minderheiten müssen bei diesem Verfahren natürlich genau festgehalten werden und gegebenenfalls Rechte bei der Umsetzung der Beschlüsse erhalten. Aber insgesamt wäre ein solcher Debattendiskurs politischer, demokratischer und letztlich auch nicht so enervierend zeitraubend.

Habemus Wahlprogramm

Das jetzt beschlossene Wahlprogramm ist wie alle mit einem solchen Verfahren gefundenen Texte ein holpriger, manchmal schwer lesbarer Aufsatz, der von winzigen Detailfragen zu grundsätzlichen Fragen der gesellschaftlichen Machtverteilung oszilliert. Ein literarischer Genuss sieht anders aus.

Die gewählten einzelnen Kapitel – Preisinflation, Wohnen, Renten, Frieden, Bildung, Demokratie usw. – strukturieren das politische Projekt, für das die LINKE steht, leider nicht oder zu wenig. Struktur für die Wahlkämpfe einer linken Partei ergibt sich in erster Linie in der Durchsetzung der politischen Ziele und Forderungen und in der Einbettung des Wahlkampfes in die vorhergehende und nachfolgende Gesamtpraxis dieser Partei.

Wir haben von der AKL – wie bei früheren Wahlprogrammen auch – Änderungsanträge für den Beginn des Programms (Präambel) und für das Ende („Wer soll das alles ändern?“) gestellt, die deutlich machen, dass wir eine grundsätzliche Überwindung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems anstreben, wobei der Wahlkampf und unser Programm nur ein Teil und Zwischenschritt sind.

Leider wurden diese Anträge, die dem Wahlprogramm eine nötige politische Struktur gegeben hätten, abgelehnt.

Besonders viele Änderungsanträge gab es zum Friedenskapitel. Viele von diesen Anträgen wurden vom Parteivorstand ganz oder teilweise übernommen. Die friedenspolitischen Positionen wurden geschärft, der Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sozialabbau benannt. Den Überbietungswettbewerb bei dem Aufrüstungsziel der NATO lehnt die Linke ab zugunsten von Investitionen in Bildung, Soziales, Gesundheit und eine gerechte Transformation in Richtung Klimaneutralität. Auch der Krieg Israels gegen die Palästinenser:innen wird kritisiert und gefordert, sich für die Umsetzung der Vorgaben des Rechtsgutachtens des internationalen Gerichtshofs zur israelischen Besatzungspolitik einzusetzen und ein Ende der Besatzung und des Siedlungsbaus zu fordern. Aufgenommen wurde die die Unterstützung der Kampagne von Friedensorganisationen und Friedensinitiativen gegen die beabsichtigte Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Der Antrag, die Unterstützung gezielter Sanktionen gegen Russland aus dem Programm zu streichen, wurde von Jan van Aken mit der Begründung abgelehnt, es gäbe erfolgreiche Sanktionen außerhalb von Wirtschaftskriegen, wie seinerzeit gegen die Apartheid in Südafrika, und häufig seien Sanktionen durch die UN gedeckt. Dass die Sanktionen gegen Russland nicht durch die UN gedeckt, sondern abgelehnt werden, wurde nicht erwähnt. Aber in den Absatz dazu im Programm steht nun die Ergänzung: Sanktionen, die im Einklang mit der UN-Charta verhängt werden, können ein wichtiges Druckmittel für einen gerechten Frieden  für die Ukraine sein.

Insgesamt wurde gerade der friedenspolitische Teil des Wahlprogramms durch die vielen Änderungen und Ergänzungen inhaltlich präzisiert, aber schwer lesbar.

So bleibt wieder einmal ein Programmtext, der keinen Zweifel aufkommen lässt, dass hier eine linke Partei antritt, mit sehr umfassenden, radikalen und auch utopischen Forderungen. All das ist Alleinstellungsmerkmal der LINKEN und es gibt selbst für einzelne Forderungen gegenwärtig keine:n Bündnispartner:in in den anderen Parteien. Aber stets vermeidet der Programmentwurf eine klare strategische Auskunft darüber, wo diese radikalen Änderungen zuerst ansetzen müssen: Den herrschenden Eigentumsverhältnissen. Ohne Entmachtung und Vergesellschaftung der Konzerne in den Schlüsselsektoren der Wirtschaft, allen voran in den Bereichen der Daseinsvorsorge, wie Bildung, Mobilität, Energieversorgung, Gesundheitswesen, öffentliche Sicherheit usw. wird die Umsetzung der linken Politik nicht gehen. Niemandem ist geholfen, wenn diese einfache Wahrheit – die im Übrigen vom Leitartikelschreiber bis zu den normalen Kolleginnen und Kollegen im Betrieb völlig unstrittig ist – verschwiegen wird. Ein Weglassen dieser strategischen Wahrheit macht ein Wahlprogramm nur noch utopischer und irrealer, statt einer eventuell gewünschten „Realpolitik“ wird nur „Irrealpolitik“ präsentiert. Das wird sich später vor allem in der Mobilisierung unserer „Stammwähler:innen“, also in der Wahlbeteiligung zugunsten der LINKEN, negativ bemerkbar machen – eine Erfahrung der LINKEN aus allen letzten Wahlen.

Klare Positionen

Die LINKE bleibt die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Antimilitarismus. Sie bleibt die Partei der Solidarität und des Kampfes gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und des Nationalismus. Die LINKE ist mittlerweile auch die einzige Partei, die einen systematischen Klima- und Umweltschutz zum programmatischen Schwerpunkt gemacht hat. Und natürlich: Die LINKE bleibt die Partei des Antimilitarismus und der Friedenspolitik, gegen Waffenproduktion, Waffenhandel und Waffenanwendung in Kriegen.

Diese umfassenden Alternativen zur kapitalistischen Realpolitik haben in anderen Parteien weder Stimme noch Heimat. Sie leben überwiegend in den außerparlamentarischen Oppositionen unterschiedlicher sozialer Bewegungen, von den Gewerkschaften über die Frauenbewegung bis zur Antikriegs- und Umweltbewegung.

Aber immer wieder fehlen im Wahlprogramm die konkreten Bezüge auf diese Bewegungen. Immer wieder setzt sich eine Attitüde durch, dass diese oppositionellen Bewegungen parlamentarisch gemäßigt werden müssten, dass ihre Forderungen zu radikal wären. Welch ein Unsinn. All die sozialen Bewegungen, allen voran die Gewerkschaften, sind nicht zu radikal oder zu einseitig, sondern nicht radikal genug. Das ist der vornehmste Grund weshalb es zusätzlich einer umfassenden linken Partei bedarf.

Es ist diese Attitüde, die dazu führt, dass auch konkrete Forderungen, die seit Jahren umkämpft sind, nicht in das Programm aufgenommen wurden. Das trifft auch Forderungen, die von der AKL immer wieder vorgetragen werden: Arbeitszeitverkürzung und 30 Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Verbot von Massenentlassungen usw. Diese Ziele tauchen stets nur verwässert und unklar auf.

Ein besonders trauriges Beispiel in Wahlprogramm 2025 ist die Forderung nach einer automatischen Anpassung der Löhne an die Inflationsrate, damit in Tarifverhandlungen der Gewerkschaften nicht nur hinter der Preissteigerung hergelaufen, sondern reale Tariferhöhungen erkämpft werden können. Hier hatte die AKL beantragt, dass die LINKE eine solche Forderung in das Wahlprogramm aufnimmt (nachdem selbst der große Staatsmann Gregor Gysi sich vor einigen Wochen dafür stark gemacht hatte).

Ausgerechnet der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft hielt zu diesem AKL-Antrag die Gegenrede, in der er erklärte, dass mit einer solchen „Gleitenden Lohnskala“ die Tarifautonomie der Gewerkschaften untergraben werde. Dieser Unsinn wurde doch schon bei unserem Kampf für einen Mindestlohn behauptet und ist heute keinen Deut besser und richtiger.

Für die AKL-Delegierten auf dem Parteitag war diese Ablehnung unseres Änderungsantrages der Grund dafür, in der Schlussabstimmung gegen den Gesamttext zu stimmen.

Ein Hoffnungsschimmer

Die LINKE hat seit ihrer Gründung immer unter dem Missverhältnis gelitten, ein ziemlich weitgehendes, radikales, antikapitalistisches Wahlprogramm vorzulegen und als einzigen Weg zu seiner Durchsetzung den Wunsch nach einer „rot-rot-grünen Regierungkoalition“ verkündet. Das war immer schon weit weg von der Realität, nach den Erfahrungen mit der Ampel-Regierung, nach der kriminellen „Zeitenwende“-Politik vom Kanzler Scholz, nach den Erfahrungen mit „feministischer Außenpolitik“ der GRÜNEN und nach der breiten , Kapitulation aller anderen Parteien vor dem nationalistischen Rechtskurs der AfD, vor allem in der Migrationspolitik, gibt es aber nur noch vereinzelte Hartgesottene, die heute von einem „Lagerwahlkampf“, von „Friedrich-Merz als Hauptgegner“ fabulieren.

Der große Unterschied dieses Parteitages zu früheren Programmparteitagen war der, dass die Mehrheit auf andere Strategien der Umsetzung unserer Politik setzte, in denen ein eigenständiger Auftritt der LINKEN als konsequente Oppositionspartei im Fokus steht.

Hier zeigte sich eine tatsächlich schon lange nicht mehr gekannte Stimmung auf dem Parteitag, die vor allem von den vielen jungen und neueingetretenen Mitgliedern erzeugt wurde.

Aber auch in einer Kleinigkeit bei der Textfindung zeigte sich dieser kleine große Unterschied: Der Titel des Wahlprogramms lautet unzweideutig „Alle wollen regieren – wir wollen verändern.“ Das ist fast das Beste am Wahlprogramm und könnte die Parole eines echten Neubeginns der LINKEN sein.