Was passiert in Griechenland? Von Thies Gleiss
1. Das Land ist für sich und als Teil eines kapitalistischen Staatenbündnis‘ in eine tiefe Krise seiner Produktionsverhältnisse geraten. Für Linke sollte eigentlich klar sein – nach ein paar hundert Jahren Kapitalismus und vieler linker Theorien über die Aktualität einer sozialistischen Alternative – dass die Antwort (wer will: die Lösung) auf diese Krise der Aufbau sozialistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse ist. Je schneller und gründlicher, desto besser.
2. Die Linke in Griechenland hat sich auf dem Hintergrund breitester sozialer Mobilisierungen, dutzender Generalstreiks und vieler Strukturen realer gesellschaftlicher Gegenmacht zu einer breiten Einheitsfront bei bürgerlichen Parlamentswahlen zusammengefunden und spektakuläre Ergebnisse bis hin zu einer fast Zweidrittel-Zustimmung im Referendum über die EU-Memoranden erzielt. Nur ultralinke Kräfte – wie die KKE – haben sich dieser Einheitsfront verweigert, sogar noch nach dem großen Wahlerfolg. Die Einheitsfront hat zu keinem Zeitpunkt Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Linken verschwiegen oder aufgehoben. Das ist der Sinn einer politischen Einheitsfront: Gemeinsam die entscheidende Praxis der Stunde entwickeln ohne die Debatte und Konzepte für die Zukunft zu unterdrücken.
3. Der politische und Klassengegner in Griechenland und der EU haben alle Mittel mobilisiert, um die linke Antwort auf die Krise zurückzuschlagen: Die Regierung wurde verteufelt; alle Versuche die linke Einheitsfront zu spalten, fanden Anwendung; die Regierung der Linken wurde erpresst und ökonomisch aufgerieben. Alles keine überraschenden Dinge, sondern politics as usual im Klassenkampf.
4. Diese Gegenaktion der Reaktion hat – vorläufig – Erfolg gehabt. Die Regierung der Linken ist eingebrochen und hat sich der Erpressung gebeugt. Das ist bitter, aber leider keine erste Erfahrung der linken und Arbeiterbewegung. Gerade der parlamentarische Erfolg und die Bildung einer linken Regierung auf ansonsten unverändert bleibenden Staatsstrukturen ist sehr zwiespältig und immer eine Chance, die man eigentlich nicht hat, aber trotzdem nutzen muss.
5. Dieser „Erfolg“ hat zur Zerstörung der linken Einheitsfront und der Partei Syriza geführt, weil die Wortführer des „Misserfolges“ an ihrem gescheiterten ersten Versuch festhalten. Nichts geändert hat der „Erfolg“ der Gegenseite an der gesellschaftlichen Krise des Kapitalismus in Griechenland und der Aktualität des Sozialismus als Antwort auf diese Krise. Nichts geändert hat dieser „Erfolg“ der Gegenseite an der Notwendigkeit einer linken Einheitsfront und dem Aufbau von neuen Formen gesellschaftlicher Gegenmacht.
6. Aber diese Einheitsfront – das ist der Tribut der ersten vorläufigen Niederlage – konnte und kann offensichtlich nicht mehr VOR den Wahlen zustande gebracht werden. Das liegt nicht vorrangig an den lauten Wortführern, die die Niederlage heilig sprechen und vom „per aspera ad astra“ schwätzen und gleichzeitig aktiv die linken Kritiker aus der Einheitsfront und der Partei Syriza herausdrängen und zensieren. Das liegt nicht vorrangig am Abgesang der Wortführer der internationalen Linken und deren Verklärung der Niederlage zu einem notwendigen Rückzug vom Sozialismus . Aber es liegt auch an ihrem Verhalten.
7. Deshalb ist ein Antreten der Linken in verschiedenen Formationen zur jetzt anstehenden Wahl kaum zu verhindern gewesen und keine prinzipiell falsche Haltung. Die Menschen sollen zwischen politischen Linien wählen können und nicht gefügig den Durchhalteparolen der tätigen Erpressungsopfer wie Tsipras und ihren Beistehern wie Gysi von der LINKEN folgen.
8. Die Pflicht zur linken Einheitsfront ergibt sich aber spätestens nach den Wahlen. Die stärkste linke Kraft soll eine Regierung der Linken bilden und alle anderen Linken, ob mit im Parlament oder außerhalb, sollten sie – mit Kritik und bei aller Unabhängigkeit – unterstützen, auch wenn es nur bei wenigen Maßnahmen klappt und möglich ist.
9. Auch nach der Wahl und einer hoffentlich neuen linken Einheitsfront bleibt die Aktualität des Sozialismus als Antwort auf die Krise in Griechenland und der EU unverändert. Nicht als Losung für Sonntagsreden, sondern als Tagesaufgabe am Montag und den folgenden Tagen…