Überlegungen zu linker Menschenrechtspolitik. Von Inge Höger und Carsten Albrecht
„Wir gehen aus von den Traditionen der Demokratie und des Sozialismus, der Kämpfe für Menschenrechte und Emanzipation, gegen Faschismus und Rassismus, Imperialismus und Militarismus.“ Dieser Satz im Erfurter Programm der LINKEN macht deutlich, dass LINKE Menschenrechtspolitik nicht denkbar wäre ohne den Einsatz für sozialistische Demokratie und gegen Nazis, Imperialisten und Kriegstreiber. Das unterscheidet sie vom Menschenrechtsdiskurs der Grünen und anderer bürgerlicher Kräfte, die Menschenrechte oft vom gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang loslösen, um sie dann zwecks imperialistischer Einmischung zu missbrauchen. „Besonders fatal ist dabei die Begründung von militärischen Interventionen mit dem Schutz von Menschenrechten“, heißt es dazu im Parteiprogramm. Zyniker könnten dabei eine Abwandlung der ersten Strophe des Deutschlandliedes vermuten: „Menschenrechte über alles, über alles in der Welt.“ Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn zum angeblichen Schutz der Menschenrechte nicht neue Menschenrechtsverletzungen ausgeübt würden.
Denn Krieg ist die größten Menschenrechtsverletzung. Deshalb ist die konsequente Ablehnung jedweder Militäreinsätze ein zentraler Anker linker Menschenrechtspolitik. Das heißt freilich nicht, dass DIE LINKE die Menschenrechtsverletzungen, die zur Begründung von Militäreinsätzen herangezogen werden (wenn sie denn wirklich stattfinden), relativieren, kleinreden oder verschweigen sollte. Das Erfurter Programm dazu:
„DIE LINKE lässt sich von dem Ziel leiten, dass alle Menschen unabhängig davon, in welcher Region der Erde sie leben, selbstbestimmt, in Würde und Solidarität leben können. Diesem Ziel liegt ein Menschenbild zugrunde, das von der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte ausgeht und lediglich eine Begründung braucht: Weil ich ein Mensch bin.“
DIE LINKE verteidigt die Menschenrechte unabhängig von der geopolitischen Situation in der sie missachtet werden. Wir sind gegen die Diskriminierung von Juden im Kosovo, genau wie wir uns gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung in den von Israel besetzten Gebieten aussprechen. Wir lehnen prügelnde Polizeikräfte ab, egal ob sie in Moskau oder in Hamburg tätig sind. Als linke Partei treten wir besonders für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein. Die Einforderung des Streikrechtes weltweit ist uns ein Herzensanliegen. Die „unternehmerische Freiheit“ hingegen, die auch in der EU-Grundrechtecharta Erwähnung findet, sieht DIE LINKE kritisch. Niemand hat ein Recht darauf, Menschen auszubeuten.
Der Hauptadressat LINKER Kritik muss immer die Bundesregierung und von ihr mitgeprägte Organisationen wie EU oder NATO sein. Wenn in Entwicklungsland XY eine Menschenrechtsverletzung passiert, wäre es fragwürdig, die Bundesregierung dazu aufzufordern, den Druck auf die Führung dieses Landes zu erhöhen. Denn dies würde lediglich seine Abhängigkeit von EU- und NATO-Staaten wie Deutschland verstärken. Wir wollen, dass Regierungen auf ihre Bevölkerungen hören. Wir wollen nicht, dass die reichen Länder die armen noch weiter in Abhängigkeit halten – auch nicht, wenn es dabei um die Umsetzung von Menschenrechten geht. Imperialistische Einmischung beginnt nicht erst, wenn Bomben fallen.
Der Jurist Abdullahi An-Na’im brachte es im Jahr 2000 auf den Punkt, als er in einem Interview über das Wirken internationaler NGOs im Ägypten Mubaraks sagte:
„Wenn Ägypten nicht von westlicher Wirtschaftshilfe abhängig wäre, würde es auch nicht auf westlichen Druck reagieren. Diese Abhängigkeit will man zum Zwecke der Menschenrechte ausnutzen. Doch das ist an sich bereits der Wiederschein einer fundamentalen Menschenrechtsverletzung, die daraus besteht, dass Ägypten ein abhängiges Land ist. ,Menschenrechts-Abhängigkeit‘ legitimiert andere Abhängigkeiten und zementiert sie. Wir müssen zwar pragmatisch sein, um kurzfristig das bestehende Machtgefüge zu nutzen, um für Aktivisten Raum zu schaffen. Aber gleichzeitig müssen wir lokale Menschenrechtsinitiativen stützen. Wir brauchen echte, autonome Menschenrechtsbewegungen […], um mit der Zeit die Abhängigkeit abzubauen.”[1]
Autoritäre Regime in abhängig gehaltenen Ländern – oft ist von „Entwicklungsländern“ oder dem „globalen Süden“ die Rede – sind nicht zuletzt ein Produkt einer Jahrhunderte langen Kolonialgeschichte. Demokratische und soziale Rechte wurden in Westeuropa mühsam erkämpft (und stehen heute immer wieder unter Beschuss). Ein solcher historischer Prozess hat in den meisten Staaten der Peripherie nie stattfinden können, weil dort der Widerspruch zwischen kolonialen Eliten und lokalen Vasallen einerseits und der Bevölkerung andererseits im Vordergrund stand. Teilweise ist das auch noch heute der Fall, wenn auch subtiler: Konditionierte „Hilfszahlungen“ von USA, EU, Weltbank oder anderen Großmacht-Institutionen sorgen für neoliberale Reformen und unterwürfige Ansprechpartner vor Ort. Diese Situation ist keine Entschuldigung für Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern. Gleichzeitig gilt es, den historischen Rahmen nicht aus den Augen zu verlieren und den gehobenen Zeigefinger stecken zu lassen.
Wenn sie in der Opposition sind, fordern SPD und Grüne die Bundesregierung des Öfteren dazu auf, die deutsche Interessenpolitik künftig mit einem scheinbar altruistischen Menschenrechtsdiskurs in Einklang zu bringen. Darin hat DIE LINKE nicht eingestimmt und sie sollte es auch in Zukunft nicht tun. Sie muss die Regierung vor allem dann in die Pflicht nehmen, wenn ihr Handeln selbst Menschenrechtsverletzungen verursacht. Innerhalb Deutschlands fallen die NSU-Morde mit Unterstützung der Geheimdienste, sowie die polizeiliche Repression gegen Demonstranten ins Auge. International bewirkt Deutschland furchtbare Menschenrechtsverletzungen durch Waffenexporte, Bundeswehreinsätze und Troika-Spar-Auflagen, die ihre Prägung auch und gerade durch Angela Merkel erfahren. Gegen dieses Treiben muss DIE LINKE weiterhin angriffslustig vorgehen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es wichtig, dass DIE LINKE den Widerspruch zwischen Anspruch und Realität der herrschenden Menschenrechtsideologie massenwirksam anprangert, die öffentliche Debatte anregt und damit kritisches Bewusstsein schafft. Das entscheidende Kriterium LINKER Parlamentsarbeit sollte die Frage sein, ob wir zur Selbstermächtigung der sozial Benachteiligten – egal in welchem Land – beitragen oder nicht. Dieses Kriterium sollte mehr Gewicht haben als die Suche nach einem Konsens mit vermeintlich fortschrittlich gesinnten Abgeordneten anderer Bundestagsfraktionen.
Inge Höger vertritt DIE LINKE im Bundestags-Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Carsten Albrecht ist Mitglied der Partei DIE LINKE in Berlin-Neukölln.
Zur Vertiefung des Beispiels Ägypten: Kolonialismus mit anderen Mitteln
[1] Hajjar, Lisa, »Problems of Dependency – Human Rights Organizations in the Arab World; An Interview with Abdullahi An-Na’im«, in: Middle East Report: Critiquing NGOs. Assessing the Last Decade, MERIP Nr. 214 (2000), S. 46