Aus der Programmdebatte der LINKEN 2010
Einen Kommentar zum vorliegenden Entwurf für ein Parteiprogramm der Linken haben die Bundestagsabgeordnete Inge Höger sowie Carsten Albrecht, Klemens Alff und Paul Grasse veröffentlicht. Grasse gehört zur parteiinternen Strömung »Sozialistische Linke«, die anderen Unterzeichnenden zur »Antikapitalistischen Linken« in der Linkspartei.
(…) Der vorgelegte Programmentwurf hat scharfe Reaktionen von der bürgerlichen Presse hervorgerufen. Die relativ klare Orientierung auf die Eigentums- und Machtfrage macht denen Angst, deren Interessen dadurch gefährdet sind: dem Finanz- und dem Industriekapital. Und vielleicht auch so manchem Linke-Landesminister in spe…
Zentral sind die verbindlichen Kriterien für Regierungsbeteiligungen: Nein zu Krieg und Militarisierung, zu Lohndumping und untertariflicher Bezahlung. (…) Die Festschreibung dieser roten Linien würde das Papier vielleicht ein wenig ungeduldiger machen. Plötzlich könnten regierende Genossinnen und Genossen feststellen, daß sie sich konkret im Widerspruch zum Programm befinden. Das dürfte zwar nicht gleich zum Ende rot-roter Koalitionen führen. Aber es macht die Sache etwas unbequemer. (…)
Bei genauerem Lesen beinhaltet der Entwurf jedoch nicht nur Antikapitalismus. Im Grunde ist es ein keynesianischer Text, der Wettbewerbskontrolle und »Marktsteuerung« anstrebt. (…) »Strukturbestimmende Großbetriebe wollen wir in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen überführen und kapitalistisches Eigentum überwinden.« Hier stellt sich die Frage, warum es nur die »strukturbestimmenden« und nicht alle Großbetriebe sein sollen. (…)
Zu begrüßen ist das Eingeständnis vom Scheitern des »Sozialismusversuches« in der DDR und anderen Ostblockstaaten. In der Tat darf die Partei Die Linke die Kritik am sogenannten real existierenden Sozialismus nicht der Sozialdemokratie überlassen. Bedauerlich ist hingegen der Lobpreis auf die vermeintlichen Errungenschaften des ganz real existierenden Kapitalismus. »Private Gewinnorientierung kann Produktivität und technologische Neuerung befördern, solange kein Unternehmen stark genug ist, Preise und Umfang des Angebots zu diktieren.« Die Rolle von Linken ist vielmehr, darauf hinzuweisen, daß private Gewinnorientierung immer wieder Ausbeutung hervorbringt (…). Des weiteren heißt es im Entwurf: »Übermäßige Abfindungen müssen verboten werden.« Wer bestimmt, ab welcher Summe eine Abfindung »übermäßig« ist? (…)
Der Absatz zu Ostdeutschland ist geprägt von politischenAnsätzen, die die alte PDS in den neuen Bundesländern vertrat. (…) Der Entwurf fordert (…) »die Förderung von Zukunftsbranchen und -unternehmen und von Zentren regionaler Wirtschaftentwicklung durch Kooperation von Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmensnetzen«. Besser kann die SPD ihre Treue zum Kapital auch nicht demonstrieren (…).
Der außenpolitische Teil fordert zwar die Auflösung der NATO. Allerdings soll sie »durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Rußlands« ersetzt werden. Hier haben einige die Befürchtung, daß eine Ersatz-NATO gerechtfertigt werden könnte. Die NATO gehört ersatzlos abgeschafft. (…)
Seinen Tiefpunkt erreicht der Entwurf jedoch beim Kapitel »Eine demokratische, friedliche und soziale EU«. Sie sei »unverzichtbares politisches Handlungsfeld für die Sicherung des Friedens in Europa […] und für die Lösung der globalen Herausforderungen.« Woraus dieser »Frieden« besteht, sieht man aktuell in Griechenland: die sozial Benachteiligten Europas werden mit Hilfe der EU gegeneinander ausgespielt (…). EU-Battle Groups tragen außerhalb von Europa eher zum Krieg als zum Frieden bei. Zudem, so heißt es im Entwurf, sei die EU unverzichtbar »für wirtschaftliche Entwicklung in Europa und die Bewältigung von Wirtschaftskrisen«. Als Instrument zur Durchsetzung von Kapitalinteressen ist die EU für Regierungen und Wirtschaftseliten tatsächlich unverzichtbar. (…) Die EU ist gegründet worden, um Kapitalinteressen länderübergreifend gegen die USA durchzusetzen – wenn’s sein muß gegen die Interessen der Beschäftigten und auf dem Rücken des globalen Südens. (…)
Es stünde dem Parteiprogramm gut zu Gesicht, als ersten Schritt hin zu einer wirklich solidarischen und demokratischen europäischen Integration den Austritt Deutschlands aus der EU zu fordern. Das kann natürlich nur im Zusammenspiel mit linken Parteien, Gruppen und Bewegungen anderer EU-Länder passieren (…). Ein Positivbezug auf den Strasbourger Europarat, der nicht der EU angehört, könnte zum Ausdruck bringen, daß Die Linke durchaus für europäische Völkerverständigung zu haben ist und keine Rückkehr zum Nationalismus gutheißt. (…)
Es gibt die Position, die Basis solle das Programm trotz dieser Widersprüche im Text so annehmen, weil es die Partei eine. Mag sein, daß das richtig ist. Allerdings sieht sich der Entwurf seit seiner Veröffentlichung vehementer Kritik vom rechten Parteiflügel ausgesetzt. Deshalb tut es not, den Text auch von links zu kritisieren. (…) Dennoch müssen wir hervorheben, daß der Entwurf eine gute Diskussionsgrundlage ist und es keines völlig neuen Entwurfes bedarf.