Was tun gegen Rechts? Antirassismus und Kampf für soziale Veränderungen gehören zusammen: Von Sascha Stanicic
Die Lage ist ernst. Viele Menschen haben Angst, dass es zu einem Rechtsruck in der Gesellschaft kommt, dass Nazis und Rassisten ungehindert Hetze und Gewalt verbreiten und Minderheiten ausgrenzen können, dass MigrantInnen immer mehr diskriminiert und in wachsender Zahl abgeschoben werden. All das geschieht schon jetzt und wird immer schlimmer: rassistische Anschläge haben im letzten Jahr drastisch zugenommen, die AfD ist in Meinungsumfragen drittstärkste Partei, PEGIDA kann weiterhin jeden Montag Tausende auf Dresdens Straßen mobilisieren und die Große Koalition beschließt eine Asylrechtsverschärfung nach der anderen.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Immer noch sind – mit Ausnahme von Dresden – antirassistische Demonstrationen in der Regel größer als die Mobilisierungen der Rechten. Das haben die Proteste gegen die AfD in Kassel, Münster, Augsburg oder Siegburg in den letzten Wochen gezeigt. Das Potenzial für eine Bewegung gegen Rechts ist da. Wie kann es mobilisiert werden und wie könnte eine solche Bewegung erfolgreich sein?
Rassismus spaltet
Rassismus, Rechtspopulismus und Faschismus sind nicht nur eine Bedrohung für MigrantInnen und andere Minderheiten. Je erfolgreicher die rechten Kräfte sind, desto schwerer wird es, bessere Sozialleistungen, höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, Investitionen im Interesse der Mehrheit zu erkämpfen. Denn Rassismus, Rechtspopulismus und Faschismus sollen die arbeitende Bevölkerung spalten. Und das erschwert den gemeinsamen Kampf für Verbesserungen und den Widerstand gegen Verschlechterungen. Deshalb haben Regierung und Kapitalisten ein grundlegendes Interesse an rassistischer Diskriminierung und auch an der Existenz rechtsradikaler Kräfte. Deshalb gibt es staatlichen Rassismus in Form von Sondergesetzen und eingeschränkten Bürgerrechten für MigrantInnen und deshalb wird verheimlicht, welche Rolle staatliche Behörden tatsächlich bei der Mordserie des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) spielten. Nur wenn Rassismus und Aktivitäten rechtspopulistischer und faschistischer Kräfte aus Sicht der Herrschenden zu weit gehen, die politische Lage destabilisieren und damit die Profitbedingungen verschlechtern (z.B. dadurch, dass IT-Experten aus dem Ausland nicht in Deutschland leben und arbeiten wollen), geht der Staat – immer eingeschränkt – gegen solche Kräfte vor. All das muss bei der Frage, wie der Widerstand gegen Rechts organisiert werden soll und welche Kräfte dessen Träger sein sollten, in Betracht gezogen werden.
Ebenso muss untersucht werden, was die konkreten Gründe für das Erstarken rassistischer und rechtsradikaler Kräfte sind. Dieses Erstarken ist ein Produkt der Unfähigkeit der bestehenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, soziale Sicherheit und einen zufriedenstellenden Lebensstandard für alle, zu garantieren. Angesichts von Wirtschaftskrisen, ökologischen Katastrophen und näher rückenden Kriegen (Ukraine, Syrien) nehmen Zukunftsängste zu, die sich – irrational und vor allem bei Teilen der Mittelschichten – gegen Muslime und Flüchtlinge richten. Die etablierten pro-kapitalistischen Parteien sind völlig abgehoben und haben in weiten Teilen der Bevölkerung ihre soziale Basis verloren. Sie haben aber durch ihren eigenen Nationalismus und Rassismus (damit meinen wir nicht biologistisch-rassistische Propaganda á la Sarrazin oder Höcke, sondern die einfache Haltung, dass es um die Verteidigung der Interessen »Deutschlands« gehe) Boden dafür bereitet, dass nun Kräfte Unterstützung gewinnen können, die sich als »wahre Vollstrecker« dieses allseits propagierten Nationalismus präsentieren.
Berechtigte Sorge vor Krisen und sozialem Abstieg und berechtigter Vertrauensverlust in die etablierten Parteien sind also entscheidende Gründe für das Wachstum der Rechten, die sich dabei auf einen nationalistischen Grundkonsens stützen können, der von allen prokapitalistischen Parteien, bürgerlichen Medien und staatlichen Institutionen verbreitet wird. AfD und Co. können sich als Anti-Establishment-Kräfte präsentieren. Das vor allem aber auch, weil Gewerkschaften und LINKE keine überzeugende Alternative und keine Perspektive anbieten, gemeinsam gegen die Macht des kapitalistischen Establishments zu kämpfen. Schlimmer: in Teilen machen Führungskräfte von Gewerkschaften und LINKE bei der Formulierung nationalistischer bzw. nationalstaatlich orientierter Politik mit.
Soziale Verhältnisse ändern
AfD und Co. wachsen nicht, weil Rassismus als ideologisches Konstrukt im Rahmen eines »gesellschaftlichen Diskurses« an Boden gewinnt, sondern weil Menschen aufgrund sozialer Verhältnisse in die Arme der Rassisten getrieben werden. Eine antirassistische Politik muss deshalb zum Ziel haben, nicht nur Aufklärungsarbeit gegen rassistische Vorurteile und Ideologien zu leisten, sondern die sozialen Verhältnisse zu ändern, die den Rassismus befördern. Beides muss Hand in Hand gehen.
Das gilt auch für den Kampf gegen faschistische Kräfte. Faschisten wollen Angst und Schrecken verbreiten, AntirassistInnen, GewerkschafterInnen und MigrantInnen einschüchtern und letztlich eine Diktatur errichten, in der die Arbeiterbewegung zerschlagen und demokratische Rechte ausgehebelt wären. Ihr Mittel ist es, die Straßen zu erobern und Terror zu verbreiten. Deshalb muss man ihnen die Straßen streitig machen, sich ihnen in den Weg stellen und darf ihnen den demokratischen Raum, den sie nur zur Abschaffung demokratischer Rechte nutzen würden, nicht gewähren. Breite Mobilisierungen, Massenblockaden gegen Aufmärsche, Verhinderungen von Nazi-Info-Ständen und Versammlungen sind ein legitimes Mittel gegen dieses Pack. Das gilt grundsätzlich auch für die AfD, die gerade zu einem Zentrum rechtspopulistischer und rassistischer Propaganda wird und eine direkte Brandstifterrolle spielt. Jede AfD-Demo und -Versammlung treibt die Zahl der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte weiter nach oben. Deshalb sind Massenmobilisierungen gegen AfD-Veranstaltungen nötig, auch wenn die AfD zwar eine wachsende Nähe zu Faschisten hat, aber keine faschistische Partei ist.
Bei Mobilisierungen gegen rechte Aufmärsche und Veranstaltungen muss aber gelten, einen Kleinkrieg zu vermeiden, wie er von einigen antifaschistischen Gruppen aus autonomen Zusammenhängen betrieben wird. Nötig sind Aufklärungs- und Informationskampagnen für die lokale Bevölkerung, Zusammenarbeit mit lokalen Gewerkschaftsgruppen, Migrantenvereinen, Mietergruppen und öffentliche Mobilisierungen, an denen sich auch Menschen beteiligen können, die keine Demo-Profis sind,
Breite Bündnisse, aber keine politische Beliebigkeit
In LINKE und Gewerkschaften ist die Haltung verbreitet, unter Einbeziehung von SPD, Grünen, bürgerlichen Institutionen wie den Kirchen und möglichst auch Kräften aus der CDU, eine »Einheitsfront« gegen AfD und Co. zu schmieden. Zur Zeit treiben Kräfte des linken Flügels der LINKEN (u.a. Marx21) die Bildung eines Bündnisses voran, zu dem explizit SPD-Politiker und Mitglieder von Landesregierungen wie Ralf Stegner und Manu Dreyer eingeladen werden sollen. Der DGB hat eine »Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt« gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband und anderen Institutionen ins Leben gerufen. Es klingt überzeugend, möglichst breite Bündnisse zu schaffen. Diese mögen auch, wie in Dresden 2011, einmalige größere Demonstrationen auf die Beine stellen können. Wenn sie aber die Verantwortlichen für Austeritätspolitik, Sozialkürzungen, Wohnungsmangel und staatlichen Rassismus einbeziehen, helfen sie nicht, die Ursachen von Rassismus, Rechtspopulismus und Faschismus zu bekämpfen. Wenn Linke solche Bündnisse vorschlagen, verhalten sie sich wie ein Boxer, der sich freiwillig einen Arm auf den Rücken bindet, bevor er in den Ring steigt.
Wenn man nicht nur das Ziel hat, diejenigen Menschen zu erreichen und zu mobilisieren, die im Moment gegen AfD und Co. eingestellt sind, sondern auch diejenigen erreichen und überzeugen will, die gefährdet sind aus sozialen Gründen nach rechts abzurutschen, müssen politische Alternativen nicht nur zur AfD, sondern auch zur kapitalistischen Einheitspartei CDUCSUSPDGRÜNEFDP gegeben werden, muss der Kampf gegen Rechts mit dem Kampf für soziale Verbesserungen verbunden werden, die nur gegen diese Parteien durchgesetzt werden können. Und es muss erklärt werden, warum jede Form von Diskriminierung und Ungleichbehandlung von MigrantInnen der gesamten arbeitenden Bevölkerung schadet und sich dagegen ausgesprochen werden, zum Beispiel konkret gegen die Asylrechtsverschärfungen der Großen Koalition.
Stellen wir uns vor: Die Gewerkschaftsführungen werden ihrer Aufgabe gerecht und organisieren sowohl Kämpfe für Umverteilung von oben nach unten, als auch Mobilisierungen gegen Rechts. Sie machen aus den Tarifrunden in Bund und Kommunen, der Metall- und Elektroindustrie, dem Bauhauptgewerbe, bei der Telekom, VW, der Druckindustrie und den Banken, die in diesem Jahr anstehen, eine gesellschaftliche Bewegung für Umverteilung von oben nach unten, organisieren koordinierte Streik und Großdemonstrationen und beziehen andere kämpfende Belegscahften, wie an der Charité, bei Real und Amazon ein. Die LINKE-Führung schielt nicht mehr auf die Fleischtröge der Macht in Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen, sondern formuliert eine unzweideutige antikapitalistische Politik und stellt statt Arbeit im parlamentarischen Sumpf, die Organisierung von Kampagnen und Kämpfen in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Dann könnte ein Gegenpol zu AfD und Co. gebildet werden, der tausend Mal wirkungsvoller wäre, als jedes Bündnis mit SPD und Arbeitgebern. Da dies zur Zeit jedoch nicht der Fall ist, müssen gewerkschaftliche, antirassistische und antifaschistische Aktive zusammen kommen, Bündnisse bilden und diese so gestalten, dass bisher unorganisierte Menschen darin aktiv werden können. Solche Bündnisse sollten sich zur Aufgabe stellen, direkte Aktionen gegen rassistische und faschistische Mobilisierungen durchzuführen. Sie haben aber auch die Aufgabe, Argumente und politische Antworten zu liefern. Verharren sie dabei bei einem »moralischen« Antirassismus, der nicht die hinter dem Rassismus stehenden sozialen Interessen aufdeckt und wenn sie nicht erklären, dass soziale Verbesserungen nur durch gemeinsamen Kampf gegen die herrschenden Mächte erreicht werden können, laufen sie Gefahr, den Rechten vielleicht das Leben etwas schwerer zu machen, ihnen aber nicht den Boden zu entziehen, auf dem deren Hetze gedeihen kann.
Zuerst erschienen in: Neues Deutschland