Aufbruch statt Weiter so

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Für einen strategischen und personellen Neuanfang der LINKEN in Sachsen 

Erklärung des SprecherInnenrates des Liebknecht-Kreises Sachsen (LKS).

Die folgenden Überlegungen sind bewusst kurzgehalten und thesenhaft zugespitzt. Sie verstehen sich als kritischer Beitrag zur Wahlauswertung und Fortschreibung der seit Gründung des LKS vertretenen Grundsatzposition „Für ein klares sozialistisches Profil der sächsischen LINKEN“ (Erklärung vom 23. September 2014). Unser Motto für den Bundestagswahlkampf „Kein ‚Weiter so’“ muss jetzt auch für den sächsischen Landesverband gelten, der sich in einer krisenhaften Situation befindet. Darüber muss es eine offene Debatte geben; eine postfeudale Nachfolgeregelung an der Landesspitze „par ordre du mufti“ ist dafür denkbar ungeeignet. Angesichts dieser Lage und mit Blick auf die künftigen landespolitischen Herausforderungen muss auf dem Landesparteitag am 4./5. November ein strategischer und personeller Neuanfang vollzogen werden, den wir mit unserer Wortmeldung befördern wollen.

 

 

Aufschwung im Westen – Krise im Osten

 

Das Wahlergebnis vom 24. September 2017 markiert eine Zäsur in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Die massiven Stimmenverluste der beiden bisherigen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD von 67,2 auf 53,4 Prozent und die Wandlung des Bundestages von einem 5Parteien-Parlament zu einem 7-Parteien-Parlament bezeugen eine Legitimations- und Verfallskrise des herrschenden Parteiensystems. Ergebnis dieses Wandels ist ein Rechtsruck hin zu einer Neuordnung des neoliberalen „Blocks an der Macht“ (Antonio Gramsci) mit einem rechtsextremen Flügel in Wartestellung und einer „zurückgekehrten“ FDP. Eine wieder stärker nach links blinkende SPD führt künftig, wenn sie Wort hält, die Opposition an. Für DIE LINKE ist das eine neue Situation – sie ist nicht mehr länger die führende Oppositionspartei im Bundestag und wird ihr Profil als das „soziale Original“ weiter schärfen müssen. „Sichtbarkeit und parteipolitische Unterscheidbarkeit werden mit Blick auf die mediale Öffentlichkeit wie mit Blick auf die eigenen Anhänger zu einem weitaus größeren Problem als bisher“ (Horst Kahrs). Es wäre fatal, voraussetzungslos in eine Koalition „Alle gegen die AfD“ einzustimmen, denn das bestärkt den Eindruck, dass DIE LINKE zu den „Systemparteien“ gehört, als deren „Opfer“ sich die AfD weidlich inszenieren kann. Stattdessen müssen wir bestrebt sein, wieder selbst als „gefährlich“ für die Herrschenden zu erscheinen. Schließlich droht die Konkurrenz einer rechten Protestpartei, die sich künftig vermutlich auch stärker sozialpolitischer Demagogie bedient und bereits jetzt im Osten mit 21,2 Prozent der Zweitstimmen zur zweitstärksten Partei nach der Union und im Westen mit 10,7 Prozent zur drittstärksten Partei werden konnte.

 

DIE LINKE blieb mit 9,2 Prozent und rund 4,3 Mio. Stimmen zwar stabil und erreichte absolut 541.063 mehr Zweitstimmen als 2013. Jedoch wurde keines der erklärten Wahlziele (Zweistelligkeit, drittstärkste Partei) erreicht. Im Westen wuchs die Partei um 1,8 Prozentpunkte auf 7,2 Prozent der Stimmen; im Osten sank ihr Anteil von 22,7 auf 17,8 Prozent. Sie verlor insgesamt 400.000 WählerInnen an die AfD. Nicht zu bestreiten ist, dass der Aufstieg der Rechtspopulisten ein erhebliches Versagen der LINKEN signalisiert; sie hat den Anspruch aufgegeben, gesellschaftliche Opposition zu sein. Insbesondere in den Ost-Bundesländern wird DIE LINKE kaum noch als Adresse für politischen Protest, sondern vielmehr als Partei des etablierten Politikbetriebs, als Verwalterin sogenannter Sachzwänge und als Regierungspartei im Wartestand auch auf Bundesebene wahrgenommen. Ein geradezu schrilles Alarmsignal ist der Rückgang des Stimmenanteils bei den Arbeitslosen für DIE LINKE von 23 Prozent im Jahr 2013 auf 11 Prozent bei dieser Wahl.

 

In Sachsen wurde die AfD mit 27 Prozent knapp vor der CDU stärkste Partei und gewann im Osten des Freistaates drei Direktmandate. In diesem Wahlerfolg spiegeln sich das Versagen der seit 1990 regierenden Quasi-Staatspartei CDU sowie die bundesweit einmalige außerparlamentarische Dynamik von rechts (Pegida, Legida) wider, die seit 2015/2016 den politischen Alltag im Freistaat wesentlich prägt. DIE LINKE verlor in Sachsen 3,9 Prozent (faktisch ein Fünftel ihrer Wählerschaft) und verfehlte mit 16,1 Prozent sämtliche Wahlziele. In nahezu allen Wahlkreisen (mit Ausnahme von Dresden und von Leipzig-Süd, wo Sören Pellmann das Direktmandat errang) gab es zum Teil herbe Verluste. Sie sind, das muss selbstkritisch gesagt werden, die Quittung für ein politisches Versagen auch der sächsischen Linken.

 

Damit ist nunmehr eine brandgefährliche Situation entstanden. Sachsen könnte das erste Bundesland werden, in dem sich die konservativ-neoliberale Herrschaftsvariante in besonders autoritärer Gestalt ausformt und 2019 zum Zuge kommt. In der sächsischen CDU rufen bereits einflussreiche Stimmen nach einem Rechtsruck. Es droht bei den bevorstehenden Landtagswahlen ein Zweikampf um die Rolle der stärksten Partei zwischen einer weiter nach rechts rückenden CDU und einer AfD, in der der völkische Flügel den Ton angibt. Eine mögliche Regierungskoalition von CDU und AfD in Sachsen würde den Weg in ein autoritäres schwarz-blaues Rechtsregime frei machen.

 

 

Führungsschwäche und Fehlentwicklungen im Landesverband

 

Das bittere Wahlergebnis vom 24. September 2017 zeugt vom weiteren Niedergang des Landesverbandes, der seit 2009 bei Bundestagswahlen rund ein Drittel der Wählerschaft verloren hat. Die Ursachen für diese krisenhafte Entwicklung – die sich auch in deutlichen Verlusten bei den Landtagswahlen widerspiegelt – sind vielgestaltig und haben zum Teil objektive Gründe. Allerdings liegt auch ein deutliches subjektives Versagen des bisherigen Führungspersonals im Landesverband vor, das öffentlich benannt werden muss. Dazu zählen u.a.:

  • unzureichend aufgearbeitete Wahlniederlagen in der Vergangenheit (insbesondere die Landtagswahl 2014);
  • die langjährige Unterstützung des rot-rot-grünen Illusionstheaters in anderen ostdeutschen Ländern und die darauf basierende personalpolitische „Partizipation“;
  • eine verfehlte Personalentwicklung durch strikte innerparteiliche Ausrichtung aller „Beförderungen“ am „forum demokratischer sozialismus“ (fds);
  • inhaltliche und strategische Verödung durch eingefahrene Rituale auf den Landesparteitagen (u.a. Debatten und Beschlüsse zu substanzlosen Leitanträgen);
  • überproportionale Betonung kultureller und identitätspolitischer Themen jenseits der realen Alltagswelt der Bevölkerungsmehrheit (z.B. Laizismus), wobei derartige Themen im Strauß linker Politik weder fehlen noch systemische Verteilungsfragen überlagern dürfen;
  • Denk- und Diskussionsverbote sowie Denunziationen oppositioneller Auffassungen bei ausgewählten Themen mit Alleinstellungsmerkmal (z.B. Friedenspolitik);
  • Abbau des innerparteilichen Pluralismus und basisdemokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitgliedschaft (u.a. Einschränkung der landesweiten Zusammenschlüsse);
  • Anpassungen an den herrschenden Politikbetrieb und Verflachung linker Politikansätze (u.a. Zustimmung zur Schuldenbremse);
  • vernachlässigte Bürgernähe; Entfremdung der Parteiinteressen von den Alltagsinteressen der arbeitenden Bevölkerung und der Stimmungen, Sehnsüchte und Gefühle der breiten Mehrheit; gleichzeitig Geringschätzung des politischen Potentials der von dieser Gesellschaft sozial „Abgehängten“ (z.B. 1. Mai-Losung der Linksjugend „Freizeit und Kuchen statt Arbeit und Brot“);
  • abgehobene Sprache linker Politik, von der sich die Massen nicht mehr angesprochen fühlen, bei gleichzeitiger Selbstzensur im Hinblick auf ein freches, zugespitztes und emotionales Auftreten; „Die Linke steht methodisch und stilistisch ärmer da als die Rechte und flüchtet sich in Wortstanzen und Tonschleifen“ (Michael Kronacher).

 

 

Schlussfolgerungen für die künftige Arbeit

 

Grundsätzlich müssen wir die theoretische und konzeptionelle Arbeit auf der Grundlage des „Erfurter Programms“ auf ein neues Niveau heben. Das erfordert eine marxistische Betrachtung und Handlungsmaximen für zentrale Themenfelder wie die soziale Frage, die Friedens- und Kriegsfrage, die Klassenfrage, die Eigentumsfrage und die Systemfrage. Unsere Kritik der gesellschaftlichen und politischen Zustände muss grundsätzlicher werden und mehr Biss bekommen.

 

Die sächsische LINKE ist zugleich als aktive Mitgliederpartei konsequent zu stärken. Dafür müssen zahlreiche Defizite der Vergangenheit behoben werden. Folgende inhaltliche Prämissen und konkrete Vorschläge für die künftige Arbeit möchten wir daher hier unterbreiten.

 

Für eine differenzierte Bewertung der globalen Krisenzusammenhänge als Ursache für den Aufstieg des Rechtspopulismus weltweit und der AfD in der Bundesrepublik: u.a. Imperialismus-Analyse, Neoliberale Weltordnung als wichtigste Ursachen der Flüchtlingskrise, Rolle der BRICS-Staaten und weltweiter Fortschrittskräfte.

 

In der praktisch-politischen Tätigkeit müssen wir unsere Oppositionsarbeit verstärken und die „gesellschaftliche Kontroverse wieder stärker mit den konservativen Kräften führen und ihre Hegemonie in Frage stellen“ (K. Kipping). DIE LINKE ist die einzig wirkliche, nämlich soziale Alternative für Sachsen, die CDU als Quasi-Staatspartei ihr Hauptgegner. Zugleich ist es an der Zeit, unsere Parlaments- und Regierungsfixiertheit grundsätzlich in Frage zu stellen. Politischer Schwerpunkt muss vielmehr die Formierung einer breiten außerparlamentarischen Opposition gegen die neoliberale Politik und für eine linke Alternative sein. Wir brauchen dazu insbesondere den Dialog mit den Prekarisierten sowie mit und zwischen den jungen, (alternativen) städtischen Milieus, den Gewerkschaften sowie den bisher vernachlässigten „Unterschichten“. Eine sozialistische Partei muss, auch wenn es schwierig und unbequem ist, gerade die Interessen dieser Menschen vertreten. Dafür sollten wir die Vorschläge für eine „neue Klassenpolitik“ (siehe M. Brie, M. Candeias, K. Dörre u.a.) und die Entwicklung der LINKEN zu einer „verbindenden Partei“ (B. Riexinger) aufnehmen.

 

Der ländliche Raum benötigt deutlich mehr unsere Aufmerksamkeit und politische Zuwendung, wenngleich es dort kein Allheilmittel gibt. Neben dem Vordringen einer rechten Alltagskultur müssen die weiteren Gründe für den Aufstieg der AfD speziell dort – insbesondere die sozioökonomischen (Ungleichheit, Abbau der Infrastruktur usw.) und psychologischen Ursachen (Abstiegsängste, Wendetraumata, Fremdbestimmtheit des Ostens insgesamt usw.) – durch uns tiefgründiger analysiert und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden. Gerade hier geht es um die Wiedergewinnung unserer Rolle als „Kümmererpartei“, wenngleich wir strukturell im ländlichen Raum kaum noch verankert sind. Dazu ist u.a. mehr Anwesenheit unserer Mandatsträger vor Ort, nicht nur in den Wohlfühlzonen, sondern auch außerhalb von Wahlzeiten notwendig.

 

Unumgänglich sind weitere demokratische Veränderungen im Landesverband zum Beispiel

  • Stärkung der direkten innerparteilichen Demokratie. Wichtige Personalentscheidungen sollten künftig durch Mitgliederentscheid getroffen werden;
  • Gewinnung von mehr Kandidierenden aus dem aktiven Berufsleben und mit zivilgesellschaftlicher Verankerung; Kompetenz muss entscheiden und nicht Verankerung in innerparteilichen Netzwerken;
  • Rückeroberung des öffentlichen Raumes durch eigene Straßenaktivitäten und stärkere Vernetzung mit außerparlamentarischen Bewegungen;
  • Konferenzen mit Betroffenen zu sozialen Themen wie Armut, Mieten und Pflege;
  • stärkere Nutzung des Landtages als Bühne für Initiativen, die Widerspruch provozieren und DIE LINKE im Gespräch halten;
  • Voranbringen eines aktivierenden Projekts, mit dem DIE LINKE bis zum Ende der Wahlperiode wieder in die Offensive kommen kann, beispielsweise die Unterstützung eines Volksentscheids für längeres gemeinsames Lernen;
  • Rückbesinnung auf unsere Kernkompetenzen als Ost-Partei;
  • Verstärkung der Kooperation zwischen den Landesverbänden, um ein stärker abgestimmtes Vorgehen innerhalb und auch außerhalb der Parlamente zu erreichen und Themenimpulse wirksamer setzen zu können;
  • engere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, anstatt einseitig und ohne mehrheitliche Beschlüsse auf das BGE zu orientieren;
  • marxistische Bildungsveranstaltungen insbesondere mit und für junge Parteimitglieder und Neumitglieder;
  • verstärkte Mitgliedergewinnung unter Frauen und Analysierung, warum deutlich weniger Frauen zu uns finden; DIE LINKE muss gerade auch für Frauen wieder attraktiv werden.

 

 

Eine Linke, die ernsthaft gesellschaftlichen Einfluss gewinnen will, muss zunächst den Anspruch gesellschaftliche Opposition zu sein, wieder ins Zentrum ihrer politischen Praxis stellen. Das schließt – bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen – Regierungsbeteiligungen im Bund und in den Ländern aus. Wer das nicht sehen will, hat schlechte Voraussetzungen für die kommenden Auseinandersetzungen.