Von Lucy Redler und Thies Gleiss (Mitglieder des AKL-Bundessprecher*innen-Rates im Parteivorstand)
GELBE WESTEN, ÖKO-SOZIALISTISCHE OPPOSITION UND MAL WIEDER EIN
WAHLPROGRAMM
Eine Woche nach der gemeinsamen Sitzung mit der Fraktion der LINKEN im Bundestag, auf
der das Papier der vier Vorsitzenden von Fraktion und Partei und die Spannungen in der
Partei besprochen wurden, kam der Parteivorstand zu einer nächsten, ordentlichen Sitzung
zusammen. Das Gemeinschaftspapier findet sich hier: https://www.die-
linke.de/start/nachrichten/detail/deutschland-ist-eine-einwanderungsgesellschaft/ , der
Bericht von Lucy Redler und Thies Gleiss von der gemeinsamen Tagung steht auf der Website
der AKL: https://akl.minuskel.de/?p=2882
Die ordentliche Sitzung am vergangenen Wochenende – das sei vorab hervorgehoben – es
war die politisch interessanteste Sitzung in der bisherigen Amtsperiode des PV. Es gab eine
intensive, zielgerichtete und solidarische Debatte wie lange nicht mehr.
Es nahmen 29 der 44 PV-Mitglieder teil, mehrere Genoss*innen waren am gleichzeitig
stattfindenden Kongress des Studierendenverbandes SDS engagiert und konnten nicht oder
nur teilweise an der PV-Sitzung teilnehmen. Ein großes Lob von dieser Stelle an den SDS für
diesen tollen Kongress mit mehr als 1300 Teilnehmer*innen.
Der hier präsentierte Bericht umfasst leider nicht die letzte Stunde der PV-Sitzung, weil wir
beide die Sitzung etwas vorzeitig verlassen mussten. Für Beschlüsse zu bis dahin noch nicht
behandelten Vorlagen (Jahresauftakt und Gedenktag 100 Jahre Ermordung von Luxemburg
und Liebknecht; Fest der Linken 2019; Aktionskonferenz „Aufstehen gegen Rassismus“;
8.März 2019 Plakat und Flyer; Feministischer Flyer; Politischer Aschermittwoch in Bayern;
Unterstützung der Aktionen zum AfD-Parteitag in Riesa; überwiesener Antrag vom Parteitag
zur Mindestsicherung) verweisen wir auf das Protokoll und die Sofortinformation zu dieser
PV-Sitzung.
Rettet das „Neue Deutschland“ und Solidarität mit den Gilets Jaunes in Frankreich
Vor Beginn der Sitzung und vor dem Sitzungssaal informierte Ver.di über die in ihren Augen
unzureichenden Rettungsmaßnahmen zur Sicherung der Zukunft der Zeitung „Neues
Deutschland“ und des Druck- und Verlagshauses. In einem Flugblatt protestierte Ver.di
gegen die schleppenden Verhandlungen mit der LINKEN als Hauptgesellschafter der ND-
Gesellschaft. Es wurden darin sieben Forderungen zur Absicherung der Einkommen und
Beschäftigungsverhältnisse aufgestellt.
Der Bundesschatzmeister der LINKEN, Harald Wolf, informierte den PV über den Stand, die
bisherigen Zuschusszahlungen zur Rettung des ND und die Perspektiven der Sanierung. Die
Verhandlungen laufen weiter, dem ND geht es ökonomisch etwas besser, aber nachhaltig
sind die bisherigen Maßnahmen noch nicht.
Der PV nahm nach längerer und sehr konstruktiver Debatte einen gemäß des
Debattenverlaufs veränderten Antrag zur Solidarität mit der „Gelbwesten-Bewegung“ in
Frankreich an. Es gab keine Gegenstimmen oder Enthaltungen. Der Beschluss lautet:„Solidarität mit den sozialen Protesten der Gelbwesten in Frankreich
DIE LINKE solidarisiert sich mit den sozialen Protesten der Gelbwesten in Frankreich. Ihr
Widerstand gegen den neoliberalen und autoritären Kurs des französischen Präsidenten
Macron ist berechtigt.
DIE LINKE unterstützt die französischen Linken der France Insoumise und des PCF in ihrem
Kampf gegen die Regierung Macrons, die allein den Interessen der Superreichen dient, an der
Seite der Gelbwestenbewegung, auch um Unterwanderungsversuchen der Rassemblement
National entgegenzuwirken.
DIE LINKE begrüßt die Solidarisierungen von Gewerkschaften, Schüler*innen und
Studierenden mit den sozialen Protesten und verurteilt die brutalen Repressionen gegen sie.
Sie sieht in der Breite des sozialen Widerstands auch eine Ermutigung für Deutschland.“
Zu Besuch: Hans-Jürgen Urban vom IG Metall Hauptvorstand
Das IG Metall Vorstandsmitglied Hans-Jürgen – Hansi – Urban hielt eine spannende
Einleitung zur politischen Lage der Linken und der Gewerkschaftsbewegung, über die der PV
dann zwei Stunden lang diskutierte.
Hans-Jürgen Urban ist seit langem für seine Ausführungen zur „Mosaik-Linken“ bekannt, mit
der er das sehr aufgesplitterte und gesellschaftlich breit gestreute Potenzial für linke Politik
von heute umschreibt. Diese auf unterschiedlichen Ebenen anzusprechende Linke muss
verstärkt zusammengeführt werden. Das wird ein Prozess sein, der nicht von oben per
Beschluss einer Agentur oder durch ein simples Parteienbündnis erreicht wird. In diesem
Zusammenhang sind die Debatten über eine neue Klassenpolitik, wie sie gerade der LINKEN-
Vorsitzende Bernd Riexinger in seinem neuen Buch dargelegt hat, außerordentlich wichtig.
Interessant waren auch die Ausführungen von Hansi Urban zur gesellschaftlichen
Gegenseite, die in der linken Strategiediskussion aktuell gerne übersehen wird. Für die
Gewerkschaften schwinde ihm zufolge aufgrund der technologischen und organisatorischen
Entwicklung des Kapitals eine klar auszumachende Gegenseite. Ökonomisch druckvolle
Kämpfe werden schwieriger. Dafür ist die gesellschaftliche Gesamtlage diffuser geworden.
Die politische Elite und Träger „des Systems“ beginnen sich Hansi Urban zufolge gegenüber
den Protesten und Unterklassen zu immunisieren, es entsteht ein unklares „Wir-da-unten“
gegen „Die-da-oben“, was in der jüngsten Protestbewegung der Gelbwesten in Frankreich
sehr deutlich wird. Der herrschenden Klasse gelingt es nicht, ihre Herrschaft durch eine in
alle Ebenen der Gesellschaft vordringende Präsentation von „Gewinner*innen“ der aktuellen
Lage zu stabilisieren. Es entwickelt sich ein Krisenbewusstsein auch ohne aktuelle Krise.
Hansi Urban endete mit sechs Punkten für eine moderne Strategie der Linken:
– Der Begriff „Sicherheit“ muss als soziale Sicherheit mit den entsprechenden Aktionen
und Akteur*innen zur Verteidigung von Sozialstaat und Einkommen verstanden
werden.
– Linke Politik ist immer eine Klassenpolitik, das heißt, sie muss auf reale, in der
Ökonomie und den Eigentumsverhältnissen verankerte Interessensgegensätze
zurückgeführt werden.
– Linke Politik sollte als Schwerpunkt die Verteidigung und den Ausbau des
„Öffentlichen“ gegenüber dem „Privaten“ haben.
– Linke Politik muss sich in der Debatte über Flucht und Migration eindeutig
positionieren, ohne die ungeteilte, internationale Solidarität zu verlassen. Die
Debatte über „Offene Grenzen“ ist im hohen Maße eine Scheindebatte.-
– Der politische Kampf gegen Rechts hat hohe Priorität ohne irgendein Zugeständnis an
die politischen Inhalte der Rechten zu machen.
Die Nationalstaaten haben eine wichtige Bedeutung, aber die Europa-Diskussion der
Linken muss eine Debatte zur Überwindung der Nationalstaaten begründen. Er
verwies auf Debatten innerhalb der Gewerkschaften zur Positionierung zur EU und
sprach sich für eine deutliche Kritik an dieser EU aus.
Zum Schluss präsentierte Hansi Urban zwei daraus abgeleitete mögliche Alternativen: Eine
Orientierung auf ein politisches Bündnis mit Sozialdemokraten und wenigen Grünen. Das
wäre ein sehr fragiles Bündnis und erfordere hohe Bereitschaft zu gegenseitigem Respekt
unterschiedlicher Positionen. Oder die Entwicklung einer politisch-programmatisch neu
zusammengeführten linken Opposition, auf einem klaren öko-sozialistischen Programm.
Beides gleichzeitig, sei nur sehr eingeschränkt möglich.
Dennoch reklamierten in der folgenden ausführlichen Diskussion mehrere PV-Mitglieder
dieses „Beides-zugleich-machen“ für sich. Dass Lucy Redler und Thies Gleiss sich mit
Leidenschaft für die zweite Variante stark machten, sollte klar sein.
Aussprache zur Lage der Partei
Ein weiterer längerer Tagesordnungspunkt wurde der Aussprache über die Lage der Partei
und die Auswertung des Treffens mit der Bundestagsfraktion gewidmet. Dazu war als Gast
der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Korte gekommen.
Bedeutung und Ergebnis des gemeinsamen Treffens von Fraktion und Vorstand wurden sehr
unterschiedlich bewertet. Wichtige inhaltliche Fragen zu Flucht und Migration wurden nicht
beantwortet oder nicht in praktische Handlungsperspektiven umgewandelt. Das gleiche gilt
für Fragen des Verhältnisses zwischen Fraktion und Vorstand. Immerhin wurde von
Aufstehen-Initiatoren im PV nochmal betont, dass aus Aufstehen keine Partei werden solle
und angedachte Wahlantritte zu den Kommunalwahlen von Aufstehen nicht richtig seien
bzw nicht stattfinden sollten.
Lucy Redler und Thies Gleiss wiederholten ihre Vorschläge, dass die Krise der LINKEN nicht
durch Spitzengespräche und Appelle an Sekundärtugenden des solidarischen Umgangs
miteinander gelöst werden kann. Die Mobilisierung der gesamten Mitgliedschaft, Beachtung
der innerparteilichen Demokratie und des Vorrangs von Parteibeschlüssen gegenüber denen
der Fraktion und eine aktivistische Bewegungsorientierung aus den nur-parlamentarischen
Sphären hinaus, das sind die Ansatzpunkte für eine bessere Aufstellung der LINKEN und
erfolgreichere Wahlkämpfen.
Thies Gleiss betonte einmal mehr, dass dies ohne eine Regulierung der
Parlamentsorientierung der LINKEN mit Befristungen für Parlamentsmandate, Kontrolle aller
Privilegien der Berufspolitiker*innen der LINKEN und Trennung von Parteiamt und Mandaten
nicht erfolgreich sein wird.
Das Wahlprogramm zur EU-Wahl 2019
Den längsten Teil der PV-Sitzung nahm die Debatte über den Entwurf der Parteivorsitzenden
für ein Programm zur EU-Wahl im Mai 2019 ein. Es gab zu den einzelnen Kapiteln des
ungefähr fünfzig Seiten langen Textes sehr viele kleinere Änderungsanträge. Wie immer
wurden viele davon ganz oder teilweise übernommen. Dadurch bekommt das Programmviele Autor*innen und Ko-Autor*innen und birgt viele kleine Erfolgserlebnisse – aber die
Lesbarkeit und sprachliche Attraktivität des Textes leidet darunter sehr.
Auch kleinere Änderungsanträge der AKL-Vertreter*in wurden übernommen (zum Beispiel
zur Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien).
Dieses Verfahren wird jetzt noch einmal gedoppelt, weil nun die Debatte in der gesamten
Mitgliedschaft beginnt und hunderte von weiteren (oder auch die alten, nicht
übernommenen) Änderungsanträgen dem Parteitag im Februar zur Entscheidung vorgelegt
werden. Das Ganze nennt sich parteiinterne Demokratie und ist mühsam, aber unendlich viel
sinnvoller und politischer als von oben verordnete Anordnungen und von Werbeagenturen
getextete, bunte Papiere.
Der Programmentwurf wurde dann mit Mehrheit von 14 Stimmen, ohne Gegenstimmen
und bei 11 Enthaltungen angenommen und wird als Vorschlag des Parteivorstandes an den
Parteitag als Leitantrag gestellt. Lucy Redler und Thies Gleiss haben sich enthalten.
In der Programmdiskussion gab es drei längere Debatten: Über den Titel; über einen
kompletten Ersetzungsantrag zur Präambel von Lucy Redler und Thies Gleiss und über
längere Ergänzungsanträge von Christine Buchholz.
Der Titel ist eine erweiterte Version eines Vorschlages von Judith Benda, Lucy Redler und
Thies Gleiss und lautet: „Für ein solidarisches Europa der Millionen – gegen die EU der
Millionäre“. Damit lässt sich sicher leben, weil das Spannungsverhältnis gut aufgegriffen
wird, in dem die LINKE steht. Sie ist entschiedene Gegnerin der Politik der EU und seiner
Einzelstaaten, die nach wie vor mit den in der LINKEN mehrfach (und jetzt wieder)
beschlossenen Begriffen „undemokratisch, neoliberal und militaristisch“ treffend
beschrieben wird. Aber die LINKE ist auch internationalistisch und ebenso heftige Gegnerin
der von den Rechten verfolgten Position „Für ein Europa der Vaterländer“ (und auch in der –
bei Einigen in der LINKEN leider weniger kritisierten – Variante des „Europa der
Nationalstaaten“).
Der alternative Präambel-Vorschlag von Lucy Redler und Thies Gleiss und auch die Anträge
von Christine Buchholz und Harri Grünberg wollten einen deutlich schärferen Akzent auf die
Kritik an der konkreten EU von heute setzen. In den fünf Jahren seit der letzten EU-Wahl sind
die Krise der EU und ihre Wandlung in ein Zwangsprojekt des Kapitals mit unterschiedlichen
Verankerungen in den europäischen Nationalstaaten immer deutlicher geworden. Die EU
wird von Millionen von Menschen als reale Bedrohung für Einkommen und soziale Sicherheit
erfahren. Das deutsche Kapital ist dabei der große Gewinner. Deshalb muss die deutsche
LINKE eine klare Position gegen diese EU einnehmen, das wird von der übrigen europäischen
Linken auch so erwartet.
Zudem ist es sowieso schwierig, mit der schon jetzt im Programm erklärten EU-Kritik noch
irgendwie eine linke oder andere „Pro-EU-Nische“ zu besetzen. Wir werden zurecht als EU-
Kritiker*innen angesehen – und diesen Ruf sollten wir in Programm und im Wahlkampf auch
selbstbewusst annehmen.
Die Anträge von Harri Grünberg und Christine Buchholz wurden nur geringfügig
übernommen und in den Programmentwurf eingebaut; der alternative Präambel-Vorschlag
wurde mit sieben Ja und drei Enthaltungen mehrheitlich abgelehnt.
Weiteres und Bedenkliches
Der PV nahm den Zeitplan für den Europa-Parteitag an. Dabei kam es wie vor jedem
Parteitag zur kontroversen Debatte, ob die vielen Promi-Reden und „Berichte“ nötig seien
und der damit einhergehende Verlust an Debattenzeit für die „normalen“ Delegierten in
Kauf genommen werden sollte. Wir meinen auch hier: nein. Die Frage eines PV-Mitgliedes,
warum denn die beiden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion auf einem
Europawahl-Parteitag verlängerte und privilegierte Redenzeiten erhalten müssten, hätten
wir gern anders beantwortet als jetzt geschehen. Die PV-Mehrheit kapitulierte einmal mehr
von einer „Macht des Faktischen“, auch wenn das Gemurre und die Unzufriedenheit damit.
Die Parteitagsgremien – Präsidium, Mandatsprüfungs-, und Zählkommission wurden
bestimmt. Über den Antrag des PV, wie groß die Liste der Kandidatinnen zur EU-Wahl sein
soll, die von der Vertreter*innenversammlung gewählt wird, wird auf der nächsten Sitzung
entschieden.
Es gibt im PV auch Genossen (in jeder Hinsicht sternchenlose), die immer mal wieder
beanstanden, warum es ohne weitere besondere Begründung ein in der Tagesordnung
ausgewiesenes Frauenplenum geben soll. Die Ironie der Vorstandssitzung ergab, dass nur
fünf Minuten später festgestellt wurde, dass es zu wenige Kandidatinnen bei der EU-Wahl
gibt. Um das und den Frauenanteil in der LINKEN generell zu erhöhen, sind Frauen-Plena
kein schlechtes Mittel.
Der PV beschloss zudem, sich dem Antrag des Bundesausschusses an den Parteitag, in der
Satzung die Amtszeitregelungen für die BA-Mitglieder neu zu definieren, anzuschließen. Jetzt
sind auch die Bundesausschuss-Mitglieder für zwei Jahre gewählt, beginnend mit dem Tag
der ersten Zusammenkunft des BA.
Lucy Redler, Thies Gleiss