Zur ersten linken Regierungsbeteiligung im Westen der Republik
von Jürgen Aust
Als die Mitglieder der Bremer LINKEN auf ihrem Sonder-Parteitag nach einer kurzen Debatte über den mit SPD und Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag abstimmten, kam aufgrund des Abstimmungsergebnisses eine nahezu euphorische Stimmung auf: die Delegierten hatten mit 71% dem Koalitionsvertrag zugestimmt und damit die Tür für eine erste „rot-grün-rote“ Landesregierung im Westen weit aufgestoßen. Diese Entscheidung wurde nunmehr auch durch einen Mitgliederentscheid bestätigt, der zwar mit einer Zustimmung von 78,5 % relativ deutlich ausfiel. Allerdings waren von 620 Mitgliedern nur 580 Mitglieder stimmberechtigt, weil 40 Briefe wegen veralteter Adressen nicht zugestellt werden konnten. Beteiligt hatten sich an der Abstimmung dann 349 Mitglieder, von denen 266 für den Koalitionsvertrag stimmten, während 67 und somit 19,8 % dagegen votierten. Setzt man die 266 Ja-Stimmen ins Verhältnis zu den 580 stimmberechtigten Mitgliedern, dann relativiert sich das Abstimmungsergebnis mit lediglich 46 % doch ziemlich deutlich.
Im Vorfeld der Bremer Wahl stimmte die Bremer Spitzenkandidatin, Christina Vogt, die Partei bereits auf eine neue Regierungskoalition mit den Worten ein: „Wir haben ein hohes Interesse an einer progressiven Regierung. Wir bereiten uns ernsthaft darauf vor und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Bremen ist eine Folie für die gesamte Bundesrepublik.“ Und der Parteivorsitzende Bernd Riexinger erklärte bereits unmittelbar vor der Wahl: „Ich erwarte, dass wir zum ersten Mal in einem westlichen Bundesland in eine linke Regierung eintreten.“
Zu den politischen und ökonomischen Ausgangsbedingungen
Bremen gehört seit vielen Jahren zu den Bundesländern, in denen Armut und Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau liegen. Nach dem aktuellen Arbeitsmarktbericht (Juni 2019) liegt Bremen bei der Arbeitslosigkeit im Vergleich mit allen anderen Budnesländern prozentual auf dem letzten Platz. Im Wahlprogramm der Bremer LINKEN heißt es u.a., dass Bremen das Bundesland mit der „höchsten Kinderarmut“ sei. Gleichzeitig habe Bremen aber bundesweit mit ca. 10.000 Millionär*innen prozentual die höchste Zahl an Einkommens- bzw. Vermögensmillionären.
Bremen hat seit 2011 unter einer grünen Finanzsenatorin einen harten Spar- und Konsolidierungskurs hinter sich. Ein auf Bundesebene eingerichteter „Stabilitätsrat“ hatte, vergleichbar mit dem Kurs der Troika in Griechenland, Bremen eine „Verwaltungsvereinbarung“ aufoktroyiert, die eine umfangreiche Liste von Sparmaßnahmen vor allem im Personal- und Sozialbereich enthielt. Im Gegenzug erhielt Bremen eine jährliche Konsolidierungshilfe von 300 Mio. €, um das eigentliche Ziel dieser Rotstiftpolitik zu erreichen, nämlich 2020 unter Einhaltung der Schuldenbremse keine neuen Schulden mehr machen zu müssen. Dieser Sparkurs war u.a. damit verbunden, dass Bremen einen jährlichen Sanierungsbericht vorlegen musste, der einen Katalog von Grausamkeiten enthielt: allein in 2019 soll danach ein Einsparvolumen von 538 Mio. € und in 2020 ein solches von 476 Mio. € generiert werden. Dass mit diesem Austeritätskurs alles andere als eine fortschrittliche Wirtschafts- und Sozialpolitik realisiert werden kann, dürfte auf der Hand liegen.
Zur sozialen Lage in Bremen
In Bremen liegt die Hartz IV-Quote seit vielen Jahren deutschlandweit prozentual an der Spitze aller Bundesländer. Aktuell sind in Bremen 72.386 Hartz IV-Bezieher*innen im Alter von 15 – 64 Jahren und 31.197 Kinder und Jugendliche von 0 – 14 Jahren, also insgesamt ca. 103.500 Menschen im Hartz IV-Bezug registriert, was angesichts von ca. 585.000 Einwohnern ein ungewöhnlich hohes Ausmaß von armutsbetroffenen Menschen darstellt. Diese Armutsverhältnisse kommen insbesondere auch auf dem Wohnungsmarkt zum Ausdruck. Hatte das Land Bremen in den 90er Jahren noch ca. 79.000 Sozialwohnungen, führte der Niedergang des Sozialen Wohnungsbaus dazu, dass der Bestand an Sozialwohnungen bis 2017 auf lediglich ca. 8.300 Sozialwohnungen zusammengeschmolzen war. Parellel zu dieser Entwicklung haben die Mietpreise sich nahezu explosionsartig in den letzten Jahren nach oben entwickelt. Allein in den letzten 10 Jahren sind die Mieten im Land Bremen um 32% (!) gestiegen, während die sog. Angebotsmieten von 2004 bis 2018 sogar ein Plus von 43,2% zu verzeichnen haben. Für Menschen bzw. Haushalte mit geringem Einkommen ist es deshalb immer schwieriger, eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden, während die Mietbelastungsquote für rund ein Viertel alle Haushalte bei 40% und mehr liegt. Ein im Auftrag der Sozialsenatorin erstelltes Gutachten kam zum Ergebnis, dass 41% aller Haushalte einen erhöhten Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum haben, was allein in der Stadt Bremen ca. 123.000 (!) Haushalten entspricht.
Das Wahlprogramm und was daraus geworden ist
Das Wahlprogramm der Bremer LINKEN „Wem gehört die Stadt?“ hatte die Latte für einen möglichen Regierungswechsel relativ hoch gehängt. Es finden sich sogar unter der Überschrift „Alternativen zum Kapitalismus stützen und stärken“ Aussagen wie: „Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Frage des Privateigentums am Produktionskapital. Eine soziale, friedliche, umweltgerechte, demokratische Gesellschaft erfordert, dass die ökonomische Macht derer, die an Armut, Ausbeutung, Naturzerstörung, profitorientiertem Wachstum, Rüstung und Kriegen verdienen, zurückgedrängt und überwunden wird.“ Realer Anspruch oder doch eher Symbolpolitik?
Um feststellen zu können, ob die Bremer LINKE zentrale Forderungen ihres Wahlprogramms einlösen konnte, sollen die Ergebnisse daran gemessen werden, was insbesondere bei dem, was die LINKE immer gerne mit linkem „Alleinstellungsmerkmal“ beschreibt, nämlich ihren Forderungen zu Hartz IV, Arbeitslosigkeit und den mit dem Bereich „Soziale Gerechtigkeit“ zusammenhängenden Positionen, sich im Koalitionsvertrag wiederfindet. Um es vorweg zu nehmen: die Ergebnisse sind mehr als ernüchternd, was der langjährige Fraktionsvorsitzende der Bremer LINKEN, Peter Erlansson, in einem TAZ-Interview mit den Worten umschreibt: „Der Koalitionsvertrag ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe.“
Im einzelnen:
I. Hartz IV
In ihrem Wahlprogramm erklärt die Bremer LINKE, dass das Modell Hartz IV arbeitsmarktlich gescheitert sei. Seine wesentlichen Bestandteile wie eine soziale Sicherung auf Armutsniveau, permanenter Druck, etc. „haben eine katastrophale Wirkung nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf den Arbeitsmarkt.“ Deshalb formuliert sie weiter, dass „wir kämpfen für eine bundesweite vollständige Abschaffung aller Sanktionen.“ Sie fordert deshalb für Bremen eine „Zurückdrängung“ der Sanktionen und insbesondere im „Rahmen der Zusammenarbeit“ keine Sanktionen gegenüber Jugendlichen auszusprechen sowie das Ausschöpfen aller Ermessensspielräume, nicht auf Sanktionen zurückzugreifen.
Sie fordert außerdem, dass die Wohn- und Energiekosten (Strom, Wasser, Heizung) in tatsächlicher Höhe anerkannt werden müssen, um Zwangsumzüge durch Kostensenkungsverfahren auszuschließen. Außerdem fordert sie, das Absperren der Versorgung mit Strom, Gas und Wasser gesetzlich zu untersagen und durch Einrichtung eines Härtefallfonds in Bremen Energiesperren zu verhindern.
Schließlich will sie (Landes-) Programme für Zielgruppen einsetzen, die keine oder wenig Chancen auf Förderungen nach dem SGB II haben: Alleinerziehende mit Kindern unter 3 Jahren, Aufstocker*innen, altere Beschäftigte und Erwerbslose, die bereits erfolgreich in geförderter Beschäftigung.
II. Arbeit in Bremen (Kap. Wirtschafts- und Strukturentwicklung)
Auch in diesem wesentlichen Politikfeld legt das Programm die Latte erfreulich hoch, wie beispielhaft diesen Themen zu entnehmen ist:
1) So will die LINKE den „Landesmindestlohn“ auf 12,63 € anheben, also auf eine Höhe, die nach 45 Erwerbsjahren in Vollzeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung (aktuell 814 €) liegt. Damit will sie gleichzeitig ein deutliches Signal gegen den in Bremen ausufernden Niedriglohnsektor setzen.
2) Sie will die Ausweitung der Tariftreue nicht nur wir bisher im Bausektor, sondern auf alle öffentlichen Aufträge, also auch auf Dienstleistungen und Beschaffung ausweiten.
3) Sie will, dass die öffentliche Hand in Bremen grundsätzlich auf Leiharbeit verzichtet (mehr als 4.600 Leiharbeiter*innen waren 2016 für den Senat beschäftigt).
4) Sie fordert weiterhin, dass das Bremische Personalvertretungsgesetz auch für alle Honorarkräfte, Lehrbeauftragte und vergleichbare Berufsgruppen ausgeweitet wird.
5) Und sie fordert eine „Landesausbildungsumlage“, um dem Skandal den Boden zu entziehen, dass in Bremen jährlich 700 bis 1.000 Schüler*innen die Schule verlassen, ohne in eine weitere schulische oder berufliche Ausbildung zu gehen.
Der Koalitionsvertrag löst diese Vorgaben nicht annähernd ein
Es soll zunächst keinesfalls bestritten werden, dass die Bremer LINKE auf dem sozialpolitischen Terrain einige positive Akzente im Koalitionsvertrag setzen konnte. Statt vieler soll herausgestellt werden, dass die Situation der Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig verbessert werden soll, dass entschiedene Maßnahmen zur Veringerung der Kinderarmut ergriffen werden sollen, dass das Stadtticket für von Armut betroffene Menschen auf 25 € reduziert werden soll oder dass die Sozialwohnungsquote auf 30 % erhöht werden soll. Doch eine linke Regierungsbeteiligung sollte sich insbesondere daran messen lassen, was sie auf keinen Fall mittragen sollte, also ob sie ihre programmatischen Positionen bzw. die sog. roten Haltelinien nicht verwässert, sondern bewahren konnte.
1. Im Bereich Hartz IV und Armutsbekämpfung verlässt der Koalitionsvertrag leider nicht die neoliberale Hartz IV-Logik, sondern knüpft u.a. bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit an den bisherigen neoliberal ausgerichteten Programmen LAZLO und PASS an, die die Vorgängerregierung von SPD und Grünen aufgelegt hatten. Diese Programme beruhten auf befristeten (geringfügig entlohnten) Arbeitsverhältnissen, waren grundsätzlich sanktionsbewehrt und hatten von ihrer zahlenmäßigen Dimension her allenfalls Placebo-Effekte. Der Koalitionsvertrag sieht bei ca. 20.000 Langzeitarbeitslosen in Bremen (Stand 30.06.2019) nicht mehr als 1.500 Beschäftigungsverhältnisse vor, was bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit nur der bekannte Tropfen auf dem heißen Stein sein dürfte. Zumal ein wesentlicher Bestandteil dieses Programms das seit dem 01.01.2019 von der GroKo beschlossene „Teilhabechancengesetz“ ist, was nur die bereits seit sieben Jahren im Hartz IV-System arbeitslos registrierten Menschen erfasst und den größten Teil der Langzeitarbeitlosen im Regen stehen lässt.
2. Eine der auf bundes- und Landesebene zentralen Forderungen zur Bekämpfung von Hartz IV, Ein-Euro-Jobs als eine moderne Form von Sklavenarbeit bedingslos abzuschaffen, sucht man im Koalitionsvertrag leider völlig vergeblich (und erstaunlicherweise auch im Wahlprogramm).
3. Die im Wahlprogramm als eine der Kernforderungen formulierte Forderung nach Bekämpfung der Sanktionen findet sich im Koalitionsvertrag lediglich als Absichtserklärung wieder, ohne dass die Koalitionsparteien sich auf eine entschiedene Absage an die Sanktionspolitik verständigt hätten. Es finden sich allenfalls moderate Positionen wieder, die eine Absenkung der Zahl der Sanktionen enthalten, insbesondere im Bereich der U 25-Jährigen.
4. Auch die für eine glaubhafte Armutsbekämpfung im Wahlprogramm erhobene Forderung, bei Energiesperren einen Härtefonds einzurichten, sucht man im Koalitionsvertrag vergebens. Da Energiesperren eine besondere Form von sozialpolitischer Kannibalisierung darstellen, wird die neue Koalition in diesem Bereich offensichtlich die menschenunwürdige Politik der Vorgängerregierung fortsetzen.
5. Last but not least: die für die Verelendung eines großen Teils der im Hartz IV-System erfassten Menschen (in Bremen und Bremerhaven beträgt die aktuelle Zahl ca. 103.500 Betroffene) ursächliche Nichtanerkennung der tatsächlichen Mietkosten findet sich entgegen den Forderungen im Wahlprogramm im Koalitionsvertrag mit keinem Wort wieder. Menschenverachtende Zwangsräumungen oder wachsende Verschuldung sind dadurch vorprogrammiert.
6. Im Bereich Beschäftigungs- und Wirtschaftsentwicklung legt die Bremer LINKE gemeinsam mit ihren Koalitionären ein Bekenntnis zur Förderung einer „starken Sozialpartnerschaft als Voraussetzung guter Arbeit“ ab, womit im Koalitionsvertrag bereits deutliche Weichen gestellt wurden, keine die Kapitalseite zu stark belastenden, also eher schonende Forderungen zu erheben. Deshalb sind wesentliche Positionen des Wahlprogramm in diesem für linke Politik wesentlichen Handlungsfeld nahezu ausgeblendet:
a) Der im Wahlprogramm mit 12,63 € geforderte Landesmindestlohn wird im Koalitionsvertrag auf 11,13 € abgeschmolzen mit einer Delegation an die Landesmindestlohnkommission, den Mindestlohn „zeitnah anzupassen.
b) Zur notwendigen Enschränkung prekärer Beschäftigung findet sich im Koalitionsvertrag zwar die Bereitschaft, auf sachgrundlose Befristungen auch weiterhin zu verzichten, allerdings sollen Befristungen mit Sachgrund lediglich auf ein Minimum reduziert werden. Was sich zunächst einmal positiv anhört, stellt jedoch in der Praxis das Haupteinfalltor für die ausufernde Befristungspraxis dar. Dies betrifft in Bremen insbesondere die Bereiche Universität, Schulen oder die Bremer Lagerhaus-Gesellschaft (BGL). Im gesamten Bereich der öffentlichen Hand sind über 4.600 Beschäftigte in Leiharbeit, so dass zu deren Austrocknung sicherlich andere Maßnahmen erforderlich sind, als die Zahl lediglich zu „minimieren“.
c) Ein nahezu dunkles Kapitel findet sich im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Mobile Beschäftigung, Migration und Integration“, wenn es dort u.a. heißt, dass „wir zur Verhinderung der missbräulichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen die Zusammenarbeit der operativen Behörden (insbesondere Jobcenter, Agentur für Arbeit, Polizei, Zoll, Arbeitsschutz) fördern und ausweiten“ werden. Dies ist im Kern ein Teil der staatlichen Repressionspolitik à la Seehofer und es sollte sich für eine LINKE grundsätzlich verbieten, auf diesen Repressionszug aufzuspringen.
d) Um Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, bedarf es unter verschärften neoliberalen Verhältnissen unabdingbar eines groß dimensionierten öffentlichen Beschäftigungsprogramm, mit dem nicht nur Placebo-Effekte generiert werden, sondern das tatsächlich den Anspruch hat, Arbeitslosigkeit ernsthaft zu bekämpfen. In Bremen (einschließlich Bremerhaven) sind offiziell 38.042 Arbeitslose registriert, wodurch aber die tatsächliche Arbeitslosigkeit verharmlost wird. Einschließlich der in der Kategorie „Unterbeschäftigung“ erfassten Arbeitslosen liegt die Arbeitslosigkeit in Bremen bei 53.442 arbeitslosen Menschen, wovon 42.210 Personen länger als ein Jahr arbeitslos sind (Stand 30.06.2019). Der Koalitionsvertrag signalisiert nicht annähernd, wie man diesem Krebsübel des kapitalistischen Systems zu Leibe rücken will.
Bremen unter dem Diktat der Schuldenbremse
Mit dem Koalitionsvertrag hat DIE LINKE sich der sog. „Schuldenbremse“ unterworfen, wenn es dort im Kapitel „Finanzrahmen“ u.a. heißt: „Wir verpflichten uns, ab dem Jahr 2020 unsere Haushalte grundsätzlich ohne neue Kreditaufnahme aufzustellen, sowie es das Grundgesetz und unser Landesrecht in der Verfassung und im Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse vorschreiben.“ Mit diesen Vorgaben akzeptiert die Bremer LINKE (wie bereits die LINKE in Berlin, Thüringen und Brandenburg) die wesentliche Säule neoliberaler Haushaltspolitik, die im Bereich der Staatsausgaben darauf ausgerichtet ist, ein Instrument zur Diskreditierung des Staates bzw. des öffentlichen Dienstes und zu einer marktradikalen Politik der Privatisierung und Deregulierung zu erhalten. Es herrscht eigentlich in der linken Diskussion bisher weitestgehend Einigkeit, dass eine Schuldenbremse mit dem Ziel der Senkung der Staatsausgaben ökonomischer und haushaltspolitische Schwachsinn ist, da sie dem Staat die Hände bindet, in notwendige gesellschaftliche Bereiche zu investieren und insbesondere den zunehmenden sozialen Verwerfungen entgegenzusteuern. Eine Linke, die sich diesem Diktat unterwirft, diskreditiert damit nahezu sämtliche in ihrem Wahlprogramm erhobenen Forderungen, da der Kampf gegen Armut und Massenarbeitslosigkeit mit nahezu strangulierten Haushalten nicht ansatzweise Erfolg haben kann. Und diese Selbstaufgabe hat die Bremer LINKE gewissermaßen im vorauseilenden Gehorsam im Koalitionsvertrag bereits unterzeichnet, wenn es im „Finanzrahmen“ weiter heißt: „In der Fortschreibung der Finanzplanung 2020 werden wir die folgenden jährlichen Steigerungsraten zur Grundlage machen: Personal 2,5 Prozent, Sozialausgaben 1,7 Prozent, Investitionsausgaben 2 Prozent und konsumtive Ausgaben 2,5 Prozent.“ Doch mit diesen minimalen Steigerungsraten, insbesondere im Sozialbereich, lässt sich nicht annähernd der immer wieder beschworene Politikwechsel erreichen, sondern der bisherige neoliberale Kurs wird mit hoher Wahrscheinlichkeit unter einer anderen Farbenkombination fortgesetzt.
Neoliberale Politik mit menschlicherem Antlitz
Vor diesem Hintergrund stellt sich für DIE LINKE einmal mehr die Frage, ob mit linker Regierungsbeteiligung in neoliberalen Zeiten überhaupt ein Richtungs- bzw. Politikwechsel möglich ist. Für einen Teil der Repräsentanten der LINKEN stellt sich das Problem seit vielen Jahren offensichtlich überhaupt nicht, da die grundsätzliche Orientierung auf eine Regierung mit linker Beteiligung perse bereits einen Politikwechsel beinhaltet. So der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch in seinem euphorischen Statement: „Das erste Mal Regierungsverantwortung im Westen rückt nahe. Die Bremer LINKE kann stolz sein, weil das ein bundespolitisches Signal ist.“ Er wurde umgehend von der Parteivorsitzenden Katja Kipping sekundiert: „Bremen kann ein Signal für den Bund werden. In einem Jahr wird die GroKo Geschichte sein. Wir wollen, dass die nächste Regierung eine progressive Politik macht.“ Und auch die kommentierende Linke signalisiert mit starken Worten: „Bremen: ein Herkulesprojekt für eine progressive Koalition,“ übertiteln die Redakteure des „SozialismusMagazin“, Joachim Bischoff und Bernhard Müller, ihren Beitrag zur Bremenwahl. Der Bremer Landessprecher, Felix Pithan, erklärt die kommende Entwicklung bereits vorwegnehmend: “ „Für mich ist der Koalitionsvertrag die Grundlage für einen Politikwechsel im Land Bremen.“ Und selbst Sahra Wagenknecht als Kritikerin des Kurses der Parteiführung stimmt in diesen Chor bereitwillig ein: „Nach Jahren wachsender Ungleichheit und hemmungsloser Bereicherung der oberen Zehntausend braucht Deutschland dringend eine Regierung, die sich um mehr sozialen Ausgleich bemüht. An einer solchen Regierung würde sich DIE LINKE auch im Bund beteiligen.“
Linke Repräsentant*innen, die im Vorfeld bereits derartige Vorschusslorbeeren verteilen, haben sich offensichtlich inzwischen von den Traditionslinien einer sozialistischen Linken, die den Kapitalismus überwinden will, weitestgehend verabschiedet. Denn ähnliche Entwicklungen gab es bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als der Sozialist Millerand in das französische Kabinett eintrat und Rosa Luxemburg diesen „Verrat“ an der sozialistischen Sache massiv kritisierte: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie ihrem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.“ In der frühen SPD rechtfertigten zwei ihrer ideologischen Köpfe wie Eduard Bernstein und Georg von Vollmar eine Regierungsbeteiligung der SPD mit einer Methode der „stückweisen Einführung des Sozialismus in die bürgerliche Gesellschaft“ und phantasierten von einem „friedlichen Hineinwachsen in den Sozialismus mittels Sozialreformen“, so dass unmittelbar nach der Novemberrevolution der Weg der SPD für eine Regierungsbeteiligung unter einer weiterhin monarchistischen Ausrichtung vorgezeichnet war. Dass Noske und die gesamte SPD-Führung dann mit Hilfe der Reichswehr die revolutionären Kräfte im Blut erstickte, war eine nahezu zwingende Folge dieser Kollaboration mit der herrschenden Klasse.
An diesen frühzeitigen Illusionen, die im späteren Verlauf der Geschichte von der Wirklichkeit eindeutig widerlegt wurden, hat sich bis zur heutigen Zeit nahezu nichts geändert. Der Weg der SPD nach 1945 ist ein Beleg für die Einschätzung von Wolfgang Abendroth: „Politische Intelligenz haben die integrationistischen Reformisten, die sich kapitalistischen Denkschemata unterwerfen, niemals besessen.“ Dasselbe Schicksal haben die italienischen und französischen kommunistischen Parteien erlitten, die sich ebenfalls in das Abenteuer einer linken Regierungsbeteiligung begaben und grandios scheiterten. Beide Parteien haben sich nach den gescheiterten Regierungskoalitionen nahezu pulverisiert.
Und auch der Weg der PDS und später der LINKEN beweist, dass sie aus diesen Erfahrungen offenbar nichts gelernt haben. Denn weder die PDS noch später DIE LINKE haben bei ihren Regierungsbeteiligungen ihren proklamierten Anspruch, einen Politikwechsel einzuleiten, auch nicht annähernd einlösen können. Weder in Mecklenburg-Vorpommern, noch in der Berliner Koalition von 2001 bis 2011, noch aktuell in Brandenburg oder Thüringen lässt sich ernsthaft behaupten, dass die neoliberale Entwicklung gestoppt bzw. umgekehrt worden sei. Die Konzerne schalten weiterhin, wie sie wollen, und am Beispiel Brandenburg können wir feststellen, dass die LINKE sogar bereit ist, sich aufgrund ihrer Zustimmung zum neuen Polizeigesetz in den staatlichen Repressionsapparat einbinden zu lassen.
Wenn eine linke Regierungsbeteiligung unter bürgerlichen bzw. neoliberalen Verhältnissen überhaupt sinnvoll sein sollte, dann nur als Ausdruck und Ergebnis einer breiten Widerstands- und Protestbewegung, die eine linke Regierung gewissermaßen „vor sich hertreibt“ und ihr im öffentlichen Raum den notwendigen Resonanzboden verschafft. Alles andere ist frommer Kinderglaube und bahnt für die LINKE den Weg zu einer reformistischen Partei. Da aber diese Politik seit vielen Jahren bereits von der SPD im Interesse der herrschenden Besitz- und Machteliten vertreten wird, wird DIE LINKE für diese Rolle nicht gebraucht, was offensichtlich u.a. ihre Stagnation bei den Wahlergebnissen in der letzten Zeit ausmacht.
Jürgen Aust ist Mitglied im Bundessprecher*innen-Rat der Antikapitalistischen Linken und im Landesvorstand der LINKEN.NRW Sprecher für Arbeitsmarktpolitik