…sondern ein Verbrechen. Auch in der Ukraine. Ein Positionspapier von Ulla Jelpke
Beim Konflikt in der Ukraine zählt jetzt vor allem eines: Nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Das bedeutet, in erster Linie den wiederholten Interventionen Deutschlands, der EU und der USA entgegenzutreten, die russischen Interessen in der Region als Faktor anzuerkennen und Solidarität mit bedrohten ukrainischen Antifaschisten zu üben.
In der Ukraine hat sich keine „demokratische, proeuropäische Revolution“ vollzogen, sondern eine Tragödie. Der Sturz der unzweifelhaft korrupten Janukowitsch-Regierung hat zur Einsetzung einer ebenso unzweifelhaft korrupten Nachfolgeregierung geführt. Außenpolitisch ist das eindeutig ein Punktsieg der EU/NATO gegen Russland. Innenpolitischer Hauptsieger des Konfliktes sind indes faschistische Kräfte. Die Parteinahme des Westens gegen Janukowitsch und für die „vereinigte Opposition“ gegen ihn hat dazu geführt, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Ukraine Faschisten faktische (Mit-)Regierungsgewalt innehaben.
Das bedeutet eine Zäsur im Nachkriegs-Europa, die vom Westen überwiegend ignoriert, aber auch von der Linkspartei bislang nicht genügend ernst genommen wird. Offensiv aufgegriffen wird diese Folge der Proteste nur von Russland, dem dann stets „Propaganda“ unterstellt wird. Auch die Bundesregierung scheint die Machtübernahme durch Faschisten kein Problem zu sein. Das ist insoweit konsequent, als sie schon im vergangenen Jahr daran gearbeitet hat, Swoboda auf europäischem Parkett einzuführen, etwa indem Faschistenchef Oleg Tjagnibok zum freundlichen Gespräch in die deutsche Botschaft eingeladen wurde. Während der Maidan-Proteste stand die Botschaft ständig in Kontakt mit Oppositionspolitikern, unter ihnen regelmäßig auch Swoboda-Angehörigen. Im Februar 2014 ließ sich Außenminister Steinmeier erstmals gemeinsam mit Tjagnibok ablichten. Dessen Partei stellt in der neuen Regierung den Vizepremier sowie die Minister für Umwelt und Landwirtschaft, außerdem den Generalstaatsanwalt. Bildungsminister ist der parteilose, aber ebenfalls Swoboda nahestehende Rektor der Kiewer Mohyla-Akademie.
Viel zu leise Töne kommen in diesem Zusammenhang von der Führung der Linkspartei. Beständig wird zum Dialog mit allen Akteuren und für eine friedliche Lösung aufgerufen. Das ist an sich nicht falsch, aber ich vermisse doch die entschiedene Anklage der Faschisten. Ich vermisse die klare Ansage, dass für faschistische Brandstifter, die sich auf Nazihelfer berufen, die, wie Swoboda dies tut, sogar die Waffen-SS-Division Galizien offen verehren, das gleiche gilt wie bei uns: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Ein Dialog ist sicherlich zu führen mit den „bürgerlichen Parteien“, aber auch dabei muss ihnen verdeutlicht werden, dass es für sie keinen Weg „nach Europa“ geben kann, solange sie mit Faschisten paktieren.
Die Annäherung der Ukraine an (West)Europa und die NATO entspricht dem geostrategischen Interesse der westlichen Mächte an der Ausweitung ihres Einflussgebietes und der Zurückdrängung russischer Interessen in Osteuropa. Für Russland ist dies besonders deswegen bedrohlich, weil es auf der Krim seinen wichtigsten Stützpunkt für die Schwarzmeerflotte hat. Ein Verlust dieses Stützpunktes, der zumindest mittelfristig bei einem „prowestlichen“ Kurs der Ukraine droht, würde faktisch bedeuten, dass die NATO alleinige Herrscherin über das Mittelmeer wird und Russland an seiner Südwestflanke keinen maritimen Stützpunkt mehr hätte. Solange der Konflikt in der Ukraine ein innenpolitischer war, hat sich Russland weitgehend herausgehalten – ganz im Gegenteil zum Westen, dessen Vertreter sich auf dem Maidan den Stab in die Hand gaben. Aber jetzt geht es für Russland ums Eingemachte. Das erklärt das vergleichsweise rigide Vorgehen, das mittlerweile bis hin zu den Bestrebungen des Krim-Parlaments reicht, sich aus der Ukraine zu lösen. Bei aller Kritik, die es gerade aus völkerrechtlicher Sicht am jetzigen russischen Vorgehen zu üben gilt: Glaubwürdig äußern kann diese nur, wer auch die vorherige westliche Einmischung schon kritisiert hat.
Diese war vielfältigster Natur: Sie umfasst zum einen den wesentlich mit Mitteln der Konrad-Adenauer-Stiftung ermöglichten Aufbau der UDAR-Partei von Witali Klitschko, sie umfasst die politische Aufwertung der faschistischen Partei Swoboda, sie umfasst die wiederholt erfolgte direkte Präsenz von EU-Politikern auf den Maidan-Barrikaden und nicht zuletzt die Drohung mit Sanktionen gegen ukrainische Regierungspolitiker bzw. ihnen Nahestehende. Vermutlich hat der letzte Punkt wesentlich dazu beigetragen, dass Janukowitsch von den ihn tragenden Oligarchen fallengelassen wurde.
Zu den größten Problemen gehört das Fehlen einer linken Kraft in der Ukraine, die eine Lösungsperspektive zeigen könnte. Die Erwartung vieler Demonstranten auf dem Maidan, eine Annäherung an die EU zöge automatisch eine Zunahme von Wohlstand und Freiheit für alle nach sich, war unglaublich naiv. Es fehlt bis heute eine linke Kraft, die diese Illusionen zerstreuen könnte. Janukowitsch selbst hat sie befördert, indem er jahrelang die Annäherung an die EU propagierte und erst im allerletzten Moment die Reißleine zog. Die EU ihrerseits hat nicht gezögert, sich die Naivität der Maidan-Demonstranten zunutze zu machen und sie als Speerspitze gegen Janukowitsch zu verwenden.
Die von der EU stetig ermunterte Protestbewegung wechselte im Lauf der Ereignisse ihren Charakter: Aus einer Demonstration für die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens wurde eine Demonstration, die offen zum Sturz der Regierung aufrief. Die von der Verfassung gezogenen Grenzen wurden dabei immer offener missachtet
Mit der politischen Radikalisierung ging eine Eskalation des Gewaltniveaus einher, für die aus unserer Sicht beide Seiten verantwortlich sind. Zumindest in den ersten Wochen war der Aktionsradius der Maidan-Demonstranten erheblich weiter als es in Deutschland üblich ist. Wenn in Berlin „regierungskritische“ Demonstranten das Rote Rathaus besetzen würden, würde es nicht lange dauern, bis hochgerüstete Hundertschaften der Polizei mit Tränengas ins Gebäude schießen und die Besetzer knüppelschwingend hinaustreiben würden. Dennoch ist unverkennbar, dass auch von Seiten der Spezialeinheit Berkut unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten eingesetzt wurde. Dies allerdings in einer Situation, in der militante Demonstranten schon mit Schusswaffen gegen Sicherheitskräfte vorgegangen waren. Die Kritik des Westens galt aber auch hier einseitig den Gewaltakteuren der staatlichen Seite, nicht etwa den faschistischen Milizen.
Radikalisierung und Militarisierung der Proteste gehen zu einem großen Teil auf die faschistischen „Unterstützer“ des Maidan zurück. Die demokratischen Kräfte unter den Demonstranten haben es nicht vermocht – sie haben es kaum versucht – ihren Protest auf tatsächlich demokratische Kräfte zu beschränken, sondern von Anfang an Faschisten in ihren Reihen geduldet. Diese sind mittlerweile von extremen Außenseitern zu einem gesellschaftlich breit akzeptierten Faktor avanciert.
Die „prowestlichen“ bisherigen Oppositionsparteien Batkiwschtschina (um Julia Timoschenko) und UDAR (um Witali Klitschko) hatten schon im Parlamentswahlkampf 2012 jegliche Distanz zu Swoboda aufgegeben und mit den Faschisten Absprachen in den Wahlkreisen getroffen, um den Sieg des jeweils aussichtsreichsten Kandidaten zu gewährleisten. Im Parlament agierten sie dann als „vereinte Opposition“.
Auch auf dem Maidan konnte Swoboda stets als – mindestens – gleichberechtigter Akteur agieren. Diese Partei stellt sich offen in die Tradition der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) und deren langjährigen Leitfigur Stepan Bandera. Die UPA hat bis 1944 zehntausende Polen, Juden und sowjetische Partisanen ermordet. Die ukrainische „Zivilgesellschaft“ auf dem Maidan sah aber keinen Widerspruch zu ihrer „proeuropäischen“ Einstellung, mitten in ihren Reihen solche Apologeten einer Mörderbande agieren zu lassen. Wer glaubt, es gehe Swoboda nur um harmlose Geschichtsfolklore, hatte viele Möglichkeiten, sich eines besseren belehren zu lassen: Die Palette reicht von antisemitischen Äußerungen ihrer Politiker, über Gewalttaten ihrer Anhänger bis zu Freundschaftsbesuchen bei der NPD-Fraktion in Sachsen. Lange bevor auf dem Maidan die Gewalt eskalierte, war es etwa im Swoboda-beherrschten Galizien schon gang und gäbe, dass Swoboda-Einheiten „Hausbesuche“ bei Politikern der Partei der Regionen machten, um sie zum Rücktritt zu zwingen. Aus Galizien kam denn auch ein Großteil der Dauerprotestierer auf dem Maidan.
Aber nicht nur Swoboda gelang der Sprung vom Westen in die Mitte der Ukraine. Das gilt auch für noch offener faschistische Organisationen wie etwa den Rechten Sektor. Nicht nur waren deren schwarz-rote Fahnen (wiederum in der Tradition der OUN/UPA) auf dem Maidan bald unübersehbar, auch Wolfsangeln fanden ihren Weg nach Kiew. Der Rechte Sektor ist eine militante Kampfformation, die inzwischen über etliche Tausend Anhänger verfügt, einige von ihnen mit militärischer Vorerfahrung. Diese Kräfte haben auf dem Maidan eine, wenn vielleicht nicht zahlenmäßige, so doch politische Dominanz gewonnen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten die verbliebenen Demokraten auf dem Platz erkennen müssen, dass sie in extrem schlechter Gesellschaft sind. Es ist bekannt, dass eine kleine Minderheit auf dem Maidan Linke waren, die versuchten, das Geschehen mit emanzipatorischen Inhalten zu beeinflussen. Es ist offensichtlich, dass sie damit gescheitert sind.
Die Faschisten, selbst in ihrer militanten Ausprägung, sind in der Ukraine salonfähig geworden. Faschisten haben zum ersten Mal, seit es die Ukraine gibt, Regierungsgewalt inne. Die Sicherheitsorgane müssen – ob sie wollen oder nicht – die Anhänger faschistischer Milizen in ihre Reihen integrieren, auf den Straßen machen sich rechte Schläger breit und maßen sich „Polizeiaufgaben“ an.
Im Ergebnis der vermeintlich „proeuropäischen“ Maidan-Proteste ist den Faschisten ein großer Durchbruch gelungen. Sie können sich nun so darstellen, als seien sie tatsächlich „Freiheitskämpfer“ gegen die „Diktatur“ des früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch.
Der nationalistische Furor, dessen Produkt der Umsturz ist, zeigt sich beispielsweise darin, dass als erste Maßnahme der neuen Regierung das Sprachengesetz zurückgenommen wurde, das den nationalen Minderheiten den Gebrauch ihrer eigenen Sprache als Amtssprache garantiert hatte. Nach Intervention des Westens, der hierin eine unnötige Provokation der russischen Minderheit sah, liegt das Gesetz jetzt erstmal auf Eis.
Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei um das gleiche Gesetz, das erst 2012, mitten im Wahlkampf, von Janukowitschs Regierungsmehrheit beschlossen worden war. Damals wurde es von der Opposition wie auch vom Westen als „prorussische“ Maßnahme kritisiert, mit der Janukowitsch die Einheit des Landes untergrabe. Nunmehr gilt sein Sprachengesetz als Gewähr für eben diese Einheit. Das zeigt, dass der Westen wie immer verlogen und rein taktisch argumentiert.
Fast zeitgleich zum Sturz Janukowitschs erfolgten in weiten Teilen der Ukraine die Zerstörung von Lenindenkmälern, Denkmälern des Großen Vaterländischen Krieges und von Büros linker Organisationen, allen voran der Kommunistischen Partei. Diese stand, bei aller rhetorisch-radikalen Kritik an den herrschenden Oligarchen, bis zuletzt an der Seite von Janukowitsch. Dafür ist sie zu kritisieren – aber solange ihre Büros verwüstet und ihre Aktivisten bedroht werden, sollte es selbstverständlich sein, mit ihnen solidarisch zu sein, so wie mit allen verbliebenen Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Ukraine. Inzwischen klagen selbst einzelne Batkwischtschina-Politiker darüber, die faschistischen Banden handelten noch schlimmer als das alte Regime. Die Hoffnung, sich der Faschisten für einen Umsturz bedienen und sie hinterher sang- und klanglos wieder abservieren zu können, erweist sich – nicht zum ersten Mal in der Geschichte – als trügerisch.
Eine Aufgabe für linke Kräfte wäre es, Aufklärung über zweierlei zu treiben: Zum einen über den Charakter der EU und die ökonomischen Auswirkungen, die eine Annäherung an den neoliberalen Wirtschaftsraum für die Ukraine hätte. Zum anderen über den Charakter der Faschisten. Wo die ukrainische Bevölkerung nach Selbstbestimmung und Freiheit strebt, sind wir mit ihr. Mit Faschisten kann dieser Weg aber nicht gegangen werden. Swoboda darf nicht als legitime Vertretung der Bevölkerung gesehen werden. Der Burgfrieden, den die Demokraten unter den „Pro-Europäern“ mit den Faschisten geschlossen haben, war ein schwer wiegender Fehler, der korrigiert werden muss.
Eine notwendige Maßnahme, die von der ukrainischen Übergangsregierung und der EU/NATO eingefordert werden muss, ist die unbedingte Gewährleistung der Minderheitenrechte. Die ukrainische Regierung muss das verfassungsmäßige Wirken der Sicherheitsbehörden wieder herstellen und die Unterwanderung der Polizei mit Anhängern faschistischer Milizen unterbinden. Dem nationalistischen Furor muss ganz schnell ein Ende gesetzt werden. Der Regierung der Autonomen Republik Krim muss glaubwürdig zugesichert werden, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte nicht angetastet werden. Zugleich darf kein Zweifel daran gelassen werden, dass Sewastopol als Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte mitsamt allen Rechten, die sich daraus für die russische Armee ergeben, erhalten bleibt. Von der russischen Seite erwarten wir zugleich, dass sie nicht mit Säbelrasseln agiert, sondern das Völkerrecht respektiert. Russland sollte sich kein Beispiel an der NATO nehmen, die sich bei jeder Gelegenheit über das Völkerrecht hinwegsetzt und Staaten teilt, wenn es ihr in den Kram passt. Die russische Regierung muss vielmehr auch die Interessen der ukrainischen und krimtatarischen Bevölkerung ernst nehmen, denen die Aussicht auf einen „Transfer“ nach Russland alles andere als behagt.
Die Aufklärung über die Gewaltexzesse auf dem Maidan – und hinterher – steckt noch ganz in den Anfängen. Angesichts der Tatsache, dass der neue Generalstaatsanwalt ein Swoboda-Mann ist, braucht es eine unabhängige internationale Kommission, die die Verantwortung für die tödlichen Schüsse auf dem Maidan und die Ausschreitungen nach dem Regierungsumsturz untersucht. Dafür sollte sich die Linkspartei auch gegenüber der Bundesregierung stark machen.
DIE LINKE muss sich zudem darauf einstellen, Beobachterdelegationen zu den anstehenden Neuwahlen zu entsenden. Es gibt leider allen Grund, zu befürchten, dass die Wahlkampfbedingungen für antifaschistische Parteien und Kandidaten in weiten Landesteilen alles andere als fair sein werden.