Die Aktualität des Sozialismus und das Ende vom Euro

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Anmerkungen zu Oskar Lafontaine und einer laufenden Debatte. Von Thies Gleiss

1.
Oskar Lafontaine hat wieder einmal eine Debatte in der Partei DIE LINKE und darüber hinaus losgetreten. Diesmal zum Thema „Euro“. Zunächst sollte ihm dafür großer Dank gezollt werden.  Es ist offensichtlich, dass im Jahr der Bundestagswahl und im siebten Jahr der großen Finanz- und EU-Krise das Thema „EU und Euro“ das überragende Thema in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit und auch im Wahlkampf der EU-Supermacht Deutschland sein wird. Gleichzeitig ist es genauso offenkundig, dass die etablierten deutschen Parteien – CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne – dieses überragende Wahlkampfthema nicht für ihre jeweilige Kampagne ausnutzen können. Der Grund dafür ist einfach: Sie sind sich alle bis ins Detail einig, sagen und schreiben dasselbe und stehen komplett ohne jedes Fragezeichen hinter dem „Merkelismus“ und seinem barbarischen Feldzug zur Sicherung der deutschen Dominanz in „Europa“.
Es wäre also ein Geschenk für die einzig als Alternative wahrnehmbare Partei DIE LINKE, dieses „Europa-Thema“ in ihrer Wahlkampagne in den Mittelpunkt zu stellen. Leider kapieren das maßgebliche Kräfte und WahlprogrammschreiberInnen in der LINKEN nicht. Sie ersticken das Thema in fast surrealen Bekenntnissen „zu Europa“, „zum Euro“.  Die EU wäre zwar falsch und fehlerhaft konstruiert, im Ergebnis undemokratisch und prokapitalistisch, aber irgendwie ist sie doch toll und alles Schlechte sei zu reparieren. So der Tenor des Mainstreams aus dem Karl-Liebknechthaus.
Ein Wahlkampf der LINKEN müsste, will er dem Großthema „EU-Krise“ gerecht werden, klipp und klar fordern, die EU-Verträge sofort zu kündigen. Diese EU des Kapitals ist nicht zu reformieren und mit zu gestalten. Die deutsche LINKE hat eine große Verantwortung gegenüber der europäischen Linken und den durch die Politik von Merkel und des deutschen Kapitals gebeutelten Menschen im EU-Raum. Von ihr wird erwartet, dass sie den so genannten Rettungspaketen, ESM, Finanzpakt,  und wie verschiedenen Formen der Kapitalsanierungsoffensive alle heißen, Widerstand entgegen setzt. Das ist die heute erforderliche Variante eines linken, solidarischen Internationalismus. Das schließt die Unterstützung protektionistischer Vorschläge und Maßnahmen (wie zum Beispiel Austritt aus dem Euro) der Linken in Südeuropa oder Irland ebenso ein, wie die praktische Solidarität mit dem Aufbau solidarischer Gegenmacht und Selbstverwaltungsstrukturen in diesen Ländern. Die LINKE wird allerdings vor allem daran gemessen, was an der Durchsetzung der Kapitalinteressen hier in Deutschland konkret verhindert wird. Nach Patentrezepten aus Berlin, wie denn eine andere Ökonomie aussehen  und aufgebaut werden sollte, wird weniger gefragt.

2.
Oskar Lafontaine kommt nicht ohne seine saarländischen Kaspereien aus. Man ist fast geneigt, die lustige Kabarett-Nummer gegen Helmut Schmidt („Nachdem ich und Henry Kissinger die Bauernkriege beendet hatten, mussten wir leider feststellen, dass die katholische Kirche nicht das gemacht hat, was wir wollten“) auf ihn anzuwenden: Nachdem ich in den neunziger Jahren erfolgreich den Euro eingeführt hatte, muss ich leider zur Kenntnis nehmen, dass die europäischen Regierungen nicht das machen, was ich wollte. Ja mei Oskar!  Was für eine Pose! „Der makroökonomische Dialog“ sei „von den Regierenden unterlaufen worden.“ Und jetzt – nach dem Motto ‚Wer nicht hören will, muss fühlen’ – müssen eben alle wieder zurück auf Los (oder ins Gefängnis). Fakt ist jedoch: Die Einführung des Euro sollte von den beteiligten Regierungen (die zwar 1998 bis 2002 mehrheitlich sozialdemokratisch, aber dennoch ohne irgendeine Relativierung absolut treu dem Kapital und seinen Interessen verpflichtet waren) zu keinem Zeitpunkt als Mittel des ökonomischen Ausgleichs eingesetzt werden. Im Gegenteil, es ging um eine effektivere Ausnutzung der Produktivitätsgefälle im EU-Raum, um gegenüber den USA und Japan konkurrenzfähig zu werden. Der massive Ausbau eines Niedriglohnsektors war deshalb ausdrücklich das gewünschte Zusatzmittel, ebenso wie die rabiate Schleifung aller Hindernisse, die dem freien Handel und dem freien Wandel des Kapitals noch im Wege standen.  Linke Ökonomen, Anhänger einer solidarischen oder gar sozialistischen Ökonomie haben dies in den neunziger Jahren präzise vorhergesehen. Ihnen ist aus heutiger Sicht höchstens kritisch anzuhängen, dass sie die tiefe Euro-Krise schon viel früher erwartet und das Ausmaß der fünfzehnjährigen Erfolgsgeschichte des Euro unterschätzt haben.  Es soll hier nicht gegen den damaligen Finanzminister Lafontaine gekoffert werden, er war zumindest zögerlich und ist rechtzeitig zurückgetreten, aber dass der Euro als Wohltat für die Menschen eingeführt wurde, ist nichts als Legende. Bis heute wird ja bilanziert, dass die politische und moralische Begründung einer neuen Währung im Falle des Euros sträflich vernachlässigt wurde. Geld hat immer zwei Seiten: Vertrauen und Repression. Das Vertrauen in den Euro wurde so wenig erzeugt, wie ein europäisches Nationalgefühl. Und die repressive Seite des Geldes hebt die Einkommens- und Produktivitätsgefälle bewusst nicht auf, sondern nutzt und verlängert sie.

3.
Innerhalb eines kapitalistischen Marktsystems sind Ausgleichsmaßnahmen wie eigene Währungen und deren Ab- oder –Aufwertung, Zölle oder politische Schutzmaßnahmen (Qualitätszertifikate, Normen, Markenrechte usw.) immer die Mittel, Produktivitätsgefälle auszugleichen. Geschieht dies nicht, werden Formen des permanenten ungleichen Tausches  etabliert (wovon die Ökonomien in den armen Sektoren der Welt ein jahrzehntelanges und bitteres Lied singen können), in deren Folge ganze Regionen und Länder ausbluten und verarmen. Die Vorschläge, die Oskar Lafontaine jetzt macht, sind deshalb völlig richtig, wenn die Zielsetzung die Erhaltung eines europäischen kapitalistischen Marktsystems ist. Dann spricht viel dafür, die alten europäischen Währungsmechanismen wieder einzuführen. Sicher ist dann aber auch, dass die Verarmungsprozesse in Südeuropa kaum gemindert fortgesetzt werden und sicher ist dann auch, dass diese Ökonomien völlig dem Weltmarkt ausgesetzt werden und der geringe Schutz, der die Mitgliedschaft in einer großen EU bringt, wegfällt. Sehr wahrscheinlich ist zudem, dass die Weltmarktstellung der EU insgesamt deutlich abstürzt. Die EU ist gerade aufgrund einer Weltmarktnotwendigkeit des deutschen und europäischen Kapitals gegründet worden, einen eigenen Binnenmarkt von 500 Millionen Menschen zu etablieren. Wenn dieser Binnenmarkt jetzt zusammenbricht, dann freut sich das US-amerikanische, japanische, chinesische, russische, indische, koreanische und brasilianische Kapital. Profitieren würde von der Wiedereinführung der alten Währungen (oder neuer mit gleicher Funktion)  zusätzlich die nationale kapitalistische Klasse in den südeuropäischen Länder (so wie gerade im nördlichen Pendant Island erlebt). Es ist aber zu fragen, ob diese Klasse oder diese Klassen wirklich noch als großer gesellschaftspolitischer Akteur vorhanden, oder ob sie nicht schon lange in den Eingeweiden der EU-Kapitalelite verschwunden sind. Und noch mehr ist zu fragen, ob eine deutsche oder europäische Linke sich zum Interessenswächter dieser Klassen machen sollte.
Es ist deshalb zu befürchten, dass die Vorschläge von Oskar Lafontaine wie so viele sozialdemokratische Vorschläge in der Geschichte einmal mehr zu spät kommen. Deshalb erfährt Oskar ja auch die bissige Resonanz aus dem bürgerlichen Lager. Aber, um das in dieser Sache abschließend und unmissverständlich zu sagen: Die Thesen von Oskar sind völlig andere als die der rechten „Alternative Für Deutschland“. Das vor allem deshalb, weil er neben der Etablierung des nationalen Kapitalismus in den bedrückten EU-Ländern ja auch eine Reihe politischer Schutzmaßnahmen für die arbeitende Klasse (Lohn, soziale Rechte usw.) fordert.  Warum es die letzteren nicht auch ohne die erste geben kann, bleibt Oskars Geheimnis, ebenso, warum er politische Forderungen zum Schutz der zweiten Springquelle alles Reichtums, die Natur, nicht mit einbindet.

4.
Meine Zielsetzung ist die Sicherstellung eines kapitalistischen Europas nicht. Nicht heute und nicht morgen. Die LINKE sollte die Krise der EU als eine tiefe Krise des Kapitalismus erklären und aus ihr die absolute Notwendigkeit und Aktualität des Sozialismus ableiten. Leider sind heute in der LINKEN gerade die Kräfte, die sich im „Forum demokratischer SOZIALISMUS“, in der „SOZIALISTISCHEN Linken“ oder im „Verein Freiheit durch SOZIALISMUS“ organisieren trotz dieser hehren Namen ausgesprochen zögerlich, diese große Chance und Notwendigkeit des Sozialismus zu erkennen. Das hat ein bisschen was vom Kaninchen und der Schlange.
Aktualität des Sozialismus heißt, dass es erforderlich und machbar ist, dem grundlegenden Prinzip des Kapitalismus, alle Dinge, einschließlich der Arbeitskraft, erst in eine Ware zu verwandeln und sie dann auf einen anonymen Markt zu tragen, unser Prinzip einer solidarischen, demokratisch geplanten und Vernunft geleiteten Ökonomie der Mehrheit  entgegenzustellen. DAS ist die große Aufgabe, vor der Syriza in Griechenland, aber auch die LINKE in Deutschland stehen.
Es gibt immer drei Quellen und Bestandteile dieser konkreten sozialistischen Utopie, deren jeweilige Bedeutung je nach historischer und politischer Situation ungleich ist und schwankt.  Erstens der Aufbau von Gegenmacht gegen die Institutionen der herrschenden Klasse. Das sind alle Kämpfe der Verweigerung, des Boykotts, der Streiks und der Aufbau von Strukturen zum Führen solcher Kämpfe und der Kontrolle ihrer Ergebnisse.  Zweitens politische Vorschläge an die Zentralmacht oder da, wo es bereits oder noch möglich ist, konkrete Regierungsmaßnahmen. Das ist die Politik der Umverteilung durch Steuern, des Ausbaus der Rechte der ArbeiterInnenklasse und der Beschneidung der Rechte des Kapitals, einschließlich Kapitalverkehrskontrollen,  politische Marktbeschränkungen, Währungsreformen usw.  Und drittens der Aufbau von realen Alternativökonomien wie Tauschringe, Genossenschaften, Selbsthilfeorganisationen.  Alle drei Sektoren sind die große Schule, in der neue gesellschaftliche Kräfte geschult und neue Theorien entwickelt und gelehrt werden, wie die Zukunft der Menschen konkret aussehen soll und wird.
Es ist unschwer zu erkennen, dass in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Italien heute der erste Bereich, die Bewegung der Verweigerung, der Streiks und Blockaden eine ungleich größere Bedeutung hat, ebenso dass Selbsthilfe wichtiger ist als Maßnahmen eines kaputten, sterbenden und vom Konkurrenten niedergemachten bürgerlichen Staates.
Wenn in diesen Kämpfen die Abschaffung der europäischen Einheitswährung, in vielen Bereichen in Griechenland wird heute sogar das Geld abgeschafft, gefordert wird, dann sollte die deutsche Linke das massiv unterstützen. Wichtig dabei ist aber vor allem die Bewegung, die konkrete Forderung wird sich schneller relativieren, als sich der Ausbau wirklicher sozialistischer Gegenmacht entwickelt.

Thies Gleiss, Köln, 4. Mai 2013

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