Stellungnahme der AKL NRW zur Bundestagswahl 2021

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Wir lassen Zahlen sprechen, denn die harten Fakten der Zahlen stehen nicht im Verdacht der ideologischen Färbung.

(Quelle: Tagesschau, Wählerwanderungsanalysen: https://www.tagesschau.de/inland/btw21/waehlerwanderung-bundestagswahl-103.html )

Die LINKE ist von 4.290.000 Wähler:innen bei der BTW 2017 auf 2.270.000 geschrumpft. Von den über 2.000.000 Wähler:innen, die nicht mehr DIE LINKE gewählt haben, wanderten:

820.000 zur SPD

610.000 zu den GRÜNEN

520.000 gingen nicht mehr zur Wahl

Das sind die größeren und entscheidenden Verluste.

Schauen wir auf die Neuwäler:Innen ergibt sich ebenfalls ein katastrophales Bild:

von den 1.890.000 Erstwähler:innen, die tatsächlich gewählt haben, erhielt die LINKE 150.000 Stimmen. Von den 2.850.000 Neuwähler:innen insgesamt liegen die gewonnenen Stimmen dieser Personengruppe bei knappen 5% – also in etwa beim Gesamtergebnis der Partei. Die jungen Erstwähler:innen haben DIE LINKE also genauso wenig gewählt wie der Durchschnitt der wahlberechtigten Personen. Das deutet darauf hin, dass in dieser Gruppe stark dominierende Klimathema von der Partei offensichtlich nicht adressiert werden konnte – und das wohlgemerkt, obwohl die LINKE das anerkannt weitestgehende, wenn auch noch nicht genügende, Programm gegen die Klimakatastrophe erarbeitet hatte. Es kann also an den Inhalten des Programms nicht gelegen haben, an der Wahlkampfkommunikation jedoch sehr wohl.

Am Tag nach der Wahl meldete sich Bodo Ramelow auf Twitter mit der bemerkenswerten Analyse, die Niederlage sei eine Folge der Fokussierung auf Gendersternchen, die in der Partei, außer ihm und Sarah Wagenknecht wohl kaum jemand entdecken kann.

@MDRAktuell

4 Std.

„Weniger Gendersternchen, mehr Osten“ – ein Erklärungsversuch von Thüringens Ministerpräsident @bodoramelow für die 4,9 % für Die Linke bei der Bundestagswahl

Mit der Feststellung, es hätte mehr „Ost – Themen“ geben müssen, hat er jedoch möglicherweise recht. Eine zusätzliche Erkenntnis, dass die Thüringer Situation, mit der in NRW oder Bayern wenig zu tun hat, könnte diesen Analyseteil aufwerten. Bodo Ramelow folgt hier wohl dem Wahlspruch, dass man nicht früh genug zur Attacke auf Andersmeinende blasen kann, will man die eigenen Fehler kaschieren oder strategische Fehler übertünchen.

Für eine LINKE kann es zur Zeit keine alles gewinnende, einheitliche Wahlkampfstrategie geben. Dazu sind die Verhältnisse z.B. in Thüringen und in NRW zu weit auseinander. Was für eine Landespartei erfolgreich ist, kann für eine andere völlig indiskutabel sein, wenn es um Wähler:innenstimmen geht. Zu unterscheiden sind dabei neben den Potentialen der Zielgruppen auch Inhalte für diese. Für den inhaltlichen Zuschnitt und die Zielgruppenorientierung wären Landesvorstände zuständig. Die Landespartei in NRW hat hier leider auf allen Ebenen versagt. Das beginnt damit, dass eine Spitzenkandidatin mit maximalem Polarisierungspotential innerhalb der Partei und außerhalb in wichtigen Zielgruppen, ein spektakulärer Fehler ist und endet damit, dass es gar keine Zeit für eine landespolitische Ausrichtung geben kann, wenn man sich ausschließlich um die Durchsetzung eigener Interessen (als Listenkandidat:innen mit einer LAVO – Funktion) kümmert.

Weiter mit den Zahlen:

820.000 ehemalige LINKEN-Wähler:innen haben SPD und 610.000 GRÜNE gewählt – 520.000 haben gar nicht mehr gewählt. Damit sind knapp 2.000.000 der Stimmverluste erklärt. 820.000 haben die Fixierung auf sozialpolitische Themen offenbar nicht so interessiert, oder sie sahen sie bei der SPD besser aufgehoben. 610.000 haben nichts oder nicht genug zum Thema Klimapolitik von den LINKEN gehört, oder haben sie nicht geglaubt. Hier gilt die Regel: der Sender hat die Verantwortung dafür, dass er verstanden werden kann. Die Wahlkampfkommunikation über das Thema Klimaschutz war so gut wie nicht vorhanden, mit Ausnahme der wenigen Themenbewanderten in der Partei, wie z.B. Lorenz Gösta Beutin, Nina Treu und einigen anderen. Die restlichen 520.000 waren offenbar von der Wahlkampfkommunikation der Partei so wenig inspiriert, dass sie lieber nicht gewählt haben.

Bei allen Versuchen, diese Wahlkatastrophe zu erklären, bleibt unbestreitbar: die Wahlkampfstrategie und die dazugehörige Wahlkampfkommunikation haben vollständig versagt.

Schlimmer noch ist die bereits begonnene Manie, offensichtliche Fehler, die sich bezogen auf die Ergebnisse selbst mit Mühe nicht umdichten lassen, weg zu argumentieren.

Die für den Wahlkampf verantwortlichen Genoss:innen in Berlin haben sich auf den Minimalkonsens „soziale Frage“ geeinigt. Dabei haben sie die Klimaschutzpolitik, bis auf einen einzigen Punkt, nicht mit der sozialen Frage verbunden. Kostenlosen ÖPNV als klimaschützende Forderung zu erheben war richtig, jedoch um mindestens eine Größenordnung zu schwach ausgeprägt. Damit ließen sich die Klimabewegten nicht gewinnen. Ein recht gutes Programm nützt nichts, wenn prägnante Inhalte so gut wie nicht erwähnt werden. Die sozialpolitischen Vorschläge der LINKEN waren weitgehend auf dem Niveau einer linkeren sozialdemokratischen Partei angesiedelt. Es soll ein Plakat mit „Weg mit Hartz4“ gegeben haben. In NRW haben wir es nicht gesehen. Dafür hunderte Male das Konterfei von Sahra Wagenknecht. Der Mythos mit einem auf Sahra Wagenknecht zugeschnittenen Wahlkampf ließen sich Wahlen gewinnen, dürfte endgültig erledigt sein.

Die Verluste in NRW übertreffen deutlich die im Bundesdurchschnitt. Das kann eine, wenn auch weit verbreitete, Ablehnung von Sahra Wagenknecht allein nicht verursacht haben. Im bevölkerungsreichsten Bundesland werden Wahlen entschieden. Das ist nichts neues und bei der letzten Bundestagswahl stellte die LINKE aus NRW mit zwölf Abgeordneten die stärkste Landesgruppe. Diese wurde nun halbiert. Selbst 2005 bei der ersten gemeinsamen Wahl von PDS und WASG war das Ergebnis besser und die LINKE NRW entsandte sieben Abgeordnete. Die Ursachen sind vielfältig. Aber wenn wir sie nicht benennen und ändern, geht die Partei den Bach runter.

Hier addieren sich mehrere Faktoren:

Der Landesvorstand hat keinerlei Analyse vorgenommen, welche Themen (aus dem sehr breit aufgestellten Programm) in NRW zielgruppenorientiert forciert werden sollen, geschweige denn, den NRW Wahlkampf darauf zugeschnitten.

Die Mobilisierung der Partei ist schwach ausgefallen, da es nicht einmal Versuche zu einer Überwindung der Polarisierungswirkung durch die Spitzenkandidatin und die Landesliste gab.

Die Vermeidung von Diskussionen, zugespitzt in der Schließung und anschließenden Zensur von Foren, der völligen Ignoranz gegenüber den Verläufen von Regionalkonferenzen, in denen die Missstände deutlich angesprochen wurden, führte notwendiger Weise zu einer Demotivierung vieler Genoss:innen.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die organisatorische Vorbereitung mehr als dürftig ausgefallen ist. Im Vorfeld der Wahl gab es eine einzige Ausgabe des „Wahlbüro aktuell“. Weder wurden hinreichend Schulungsformate für den Onlinewahlkampf bereitgestellt noch gab es konkrete Aktionsvorschläge oder Hinweise zum 48h-Wahlkampf. Ebenso ließ der Wahlkampfleiter eine Zeitschiene oder Wahlkampfdramaturgie vermissen. Die Kommunikation mit den Wahlkampfleitungen beschränkte sich allein auf die allernötigsten Materialdistributionen. Anfragen der Kreisverbände wurden eher verhalten bis gar nicht beantwortet. Hier ist der Landesvorstand dringend angehalten die Vorbereitungen für den LT-Wahlkampf sorgfältiger vorzubereiten.

Die Nichtbeachtung eines mit großer Mehrheit beschlossenen Antrages durch den Landesrat: „Vielfalt verbinden – wir kämpfen mit der ganzen Klasse“.

Alles in Allem sind vor den aufgeführten Hintergründen die Ergebnisse gewiss nicht unerklärlich. Die in den sozialen Medien bereits begonnenen Versuche teils prominenter Genoss:innen, die Verantwortung so zu definieren, dass die Hauptverantwortlichen Funktionsträger:innen alles richtig gemacht haben und alles dem fehlenden Gefolgschaftswillen von Genoss:innen in die Schuhe zu schieben, sind armselig.

In der Hoffnung auf Vernunft und Kritikfähigkeit;

Alle Mitglieder, die eine unabhängige, radikale, sozialistische Partei wollen, die nicht nur auf das „numerisch erhoffte“ schielen und dafür ihre Inhalte entsorgen, alle diejenigen, denen programmatische Prinzipienfestigkeit wichtig ist, ohne die eine linke Partei schlicht nicht überleben wird, sollten jetzt die Partei vor ihrer Fraktion verteidigen.

Sie sollten realistisch feststellen, dass mit dieser SPD und mit diesen GRÜNEN keine gemeinsame Regierung möglich ist. Sie sollten aber vor allem wahrnehmen, dass auch ein Entsorgen des Programms und Katzbuckeln vor den Reparaturkolonnen des Kapitalismus nur in Ausnahmesituationen reichen werden, um in einer Koalition zu enden, in der dann nur neoliberale Politik in sozialliberalen Gewändern möglich sein wird.

Es gibt keine parlamentarische oder gar populistische Alternative zu einer Strategie der beharrlichen Verankerung in der Gesellschaft in ihren Widerstandsbewegungen und dem Aufbau von außerparlamentarischen Strukturen, die eine Gegenmacht für die Durchsetzung fortschrittlicher Politik bilden. Die Zeit für einen sozial-ökologischen Systemwechsel ist knapp und die LINKE sollte keine Zeit verschwenden. Jetzt erst recht nicht.