Ein Bericht von Thies Gleiss zu den Bürgerschaftswahlen in Bremen
Zu den mich immer wieder erstaunenden – um es freundlich zu sagen – Ereignissen in der Geschichte der LINKEN gehören die Interpretationskämpfe nach Bekanntwerden der Ergebnisse von Parlamentswahlen.
Da gibt es auf der einen Seite die Brüder und Schwestern, denen der Umgang mit Ergebnissen der Demoskopie, vulgo die Pseudowissenschaft „Wahlforschung“, fast aus medizinischen Gründen untersagt werden sollte.
Sie behaupten ernsthaft, irgendein singuläres Ereignis, möglichst noch vom Vorabend der Wahlen, ein Zeitungsinterview, ein Talkshowauftritt, oder gar – kommt wirklich immer wieder vor – ein Streit auf der letzten Mitgliederversammlung und ein an die Presse durchgereichter Email-Austausch würden unmittelbar auf die Wahlergebnisse durchschlagen und verantwortlich für Sieg oder Niederlage der LINKEN sein.
Dort, wo die LINKE an einer Regierung beteiligt ist, kommen zu diesen von der Demoskopie Fehlgeleiteten noch die Genoss:innen hinzu, denen die komische Parole „Links wirkt“ ziemlich zu Kopf gestiegen ist. Sie behaupten mit gleichem Ernst, irgendeine konkrete Regierungsmaßnahme (in der Regel von einer Koalitionsregierung, in der die Anteile der LINKEN kaum fassbar sind) würden unmittelbar von den Wählerinnen und Wählern belohnt, oder im negativen Fall auch bestraft werden.
Die dritte sehr spezielle Gruppe von Wahlauswerter:innen ist unermüdlich dabei, mit allen statistischen Tricks herauszufinden, wer in welchem Stadtteil, welcher Straße wen gewählt und wen nicht gewählt hat. Für sie wäre es viel einfacher, dafür zu sorgen, das Wahlgeheimnis abzuschaffen, dann könnte sie alle ihre Fragen beantworten – und wäre kein Deut schlauer..
Die Wahlen im kleinen Stadtstaat Bremen sind wieder ein Prachtbeispiel für diese schräge Nachwahlparty in unserer Partei. Die großen politischen Ergebnisse werden durch ein Zusammenwirken dieser drei Gruppen komplett verzerrt oder gar übersehen:
– Politisch das herausragende Ergebnis der Wahlen ist, dass die Wahlbeteiligung stark zurückgegangen ist. Insbesondere in Bremerhaven und vernachlässigten Stadtteilen. Die kurze Unterbrechung in dieser negativen Entwicklung der Wahlbeteiligung während der Corona-Krise ist beendet. Das Wahlrecht wird faktisch zu einem Recht, das ärmere Schichten nicht mehr in Anspruch nehmen, weil sie sich von allen Seiten verraten fühlen. Die Gemeinschaft der Krisenverwalter des Kapitalismus und des deutschen Armenhauses Bremen ist reibungslos durch die Aufnahme einer Partei, die sich DIE LINKE nennt, in die Regierungsgemeinschaft fortgesetzt worden.
– Das zweite bedrückende Ergebnis der Bremer Wahlen ist der Nachweis, dass eine tiefe rechte bis rechtsradikale Grundstimmung existiert, die offenkundig unabhängig davon ist, ob nun die AfD oder eine andere rechte Partei zur Wahl antritt. Bremerhaven hat politische Verhältnisse, wie sie sonst nur aus Ostdeutschland bekannt sind.
– Die SPD ist mit einem blauen Auge davon gekommen (zweitschlechtestes Ergebnis ihrer Geschichte in Bremen) und ihr Bürgermeister konnte einen Amtsbonus einstreichen.
Die GRÜNEN konnten ihre Wähler:innen nicht mobilisieren, ebenso die CDU. Ein strahlendes Ergebnis und Bestätigung einer erfolgreichen Regierung sieht anders aus, und als Opposition tritt die CDU nicht in Erscheinung.
– DIE LINKE kann für sich reklamieren, dass sie erstmals bei einer Wahl nicht überproportional von der Nichtteilnahme bei Wahlen betroffen ist. Das wird jetzt überall als Erfolg und Bestätigung gefeiert, als Licht am Horizont einer sonst so trüben Entwicklung. In Wahrheit zeigt es aber nur, dass die LINKE das Glück hatte, nicht so heftig wie sonst in die Kollektivhaftung für eine brave Krisenverwaltungspolitik des Senats genommen zu werden. Der Bundeseinfluss sorgte dafür, dass diesmal der Hauptbuhmann bei den GRÜNEN ausgemacht wurde (wo er möglicherweise auch tatsächlich ist).
Eine linke, eine antikapitalistische Politik, die gleichermaßen auch ein Gegenpol zur rechten Grundstimmung sein könnte, wurde in Bremen nicht gemacht. Die Regierungsteilnahme und die Unterstützung der Krisenpolitik wurde als Selbstzweck geheiligt.
Der Preis, den die LINKE in Bremen dafür zahlte und zahlt ist hoch: Sie verkauft sich als pflegeleicht und staatstreu, sie übernimmt (nach Berlin und Thüringen) die Führung im innerparteilichen Kampf zur Revision wichtiger linker Positionen in der Kriegsfrage.
Die Zukunft einer solchen modifizierten LINKEN ist alles andere als sicher und strahlend, eher düster und von kurzer Dauer.