EIN WORT ZUR CAUSA WAGENKNECHT UND ANDEREN PUSTEBLUMEN

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von Thies Gleiss

1.

Der Beschluss des Parteivorstandes der LINKEN (PV) in der Causa Wagenknecht vom vergangenen Wochenende tappt in einer Weise in die vom Büro Wagenknecht aufgestellte Falle, dass es schon beim Lesen mit schmerzt.

Der PV plustert sich in der organisatorischen Frage auf, ohne die minimale praktische Konsequenz ziehen zu wollen oder zu können. Ein formaler Ausschlussantrag an die Schiedskommission, die allein darüber zu befinden hat, wird nicht gestellt. Der PV übernimmt damit ganz nach Wunsch von Sahra Wagenknecht die Rolle des „Spalters“ und überreicht ihr auf dem Silbertablett eine letzte Chance, mit der LlNKEN als Parteiprojekt zu pokern.

2.

Sahra Wagenknecht IST schon lange aus der Partei DIE LINKE ausgeschert. Kein PV-Beschluss und auch kein Entscheid einer Schiedskommission könnten den Bruch noch toppen, den Sahra Wagenknecht selbst schon lange vollzogen hat. Wer ein 400-seitiges „Gegenprogramm“ (so die Selbsteinschätzung) zur LINKEN schreibt und es hunderttausendfach verkauft, dafür 800.000 Euro oder noch mehr mehr als persönlichen Verräterinnen-Lohn einkassiert, ist meilenweit von der Partei, die sie dennoch noch einmal für die Bundestagswahl aufgestellt hat, entfernt. Nicht die Zukunft, wie Janine Wissler und Martin Schirdewan es erklären, wird ohne Wagenknecht sein, die Gegenwart ist es schon lange. Die Gegenwart von Sahra Wagenkencht ist durch eine eindeutige Rolle in jedem Interview, in jeder Talkshow und in jedem Eintrag in die digitalen Welten geprägt: Sie ist nichts als eine Kronzeugin gegen DIE LINKE. Und die Feinde der LINKEN, überwiegend rechtes Pack, bejubeln sie für diese Rolle.

3.

Inhaltlich, programmatisch und strategisch wird Sahra Wagenknecht durch den PV-Beschluss stattdessen komplett geschont und damit die einzige Angriffsfläche im Sinn der Verteidigung der LINKEN PARTEI unfassbar ausgelassen

Der PV hätte lieber freundlich mit einem oder zwei Sätzen feststellen sollen, dass Sahra Wagenknecht faktisch die LINKE verlassen hat (soll doch Sahra dann das Gegenteil beweisen).

Der ganze lange Rest des Beschlusses hätte sich dann scharf und klar mit den programmatischen Positionen von Sahra beschäftigen sollen, ihrem seit Langem verkündeten „Gegenprogramm“.

4.

Das Interview von Sahra mit der „Welt“ und ihr Beitrag in „Bild-TV“ zeigen doch noch einmal in aller Pracht ihr Weltbild auf. Nichts daran ist „links“:

– sie möchte eine noch mehr deutschnationale Außenpolitik als es Frau Baerbock macht.

– sie verteidigt deutsche Kapitalinteressen („unsere Wirtschaft“) als angeblich linke Leitbilder (dem gegenüber ist der „Feminismus der Außenpolitik“ vergleichsweise noch nett und freundlich)

– Sie relativiert und verteidigt die kriminelle Politik gegenüber Geflüchteten und geht zusammen mit der gesamten herrschenden Politik in der EU über Leichen.

– Sie diffamiert die vielen oppositionellen Auf- und Ausbrüche gegen die kapitalistische Normalität als Öko-Gedöns, womit sie nicht nur ihre zum Fremdschämen reizende Unkenntnis in der Sache demonstriert, sondern nur Flankenschutz für die herrschende Politik gibt.

– Ihr Kampf für „Vernunft“ und „Normalität“ ist dumpfer, kleinbürgerlicher Müll.

Im Wahlkampf 2021 hieß die zentrale Parole der AfD: „Deutschland – aber normal“.

Wenn kein Urheberrecht darauf beansprucht wird, ist damit die Losung der „Wagenknecht-Partei“ in 2024 und 2025 bereits vorgegeben.

5.

Ach ja, zum Ersten: All ihr Quo Vadis Leute, Sozialistische Linke, Populäre Linke und wer noch so alles rumläuft. Mit diesem kleinbürgerlichen Müll wollt ihr ganz sicher keine Partei aufbauen. Ihr trefft euch jetzt tapfer und denkt der böse „Parteivorstand“ würde die Partei zerstören. Was für ein selbstbetrügerischer Unsinn. Der „Parteivorstand“ – egal von wem besetzt – hat in einer Partei wie der LINKEN, in der wie in so vielen linken Parteien vor ihr, die Mitglieder gar nichts, die Vorstände wenig und die Fraktionen alles zu sagen haben, seit langem keine Entscheidungsmacht. Verantwortlich für den heutigen Kurs der Partei, für ihre Fehler und Irrtümer sind in erster Linie und mit großem Vorsprung die Parlamentsfraktionen und solche Leute, die in Regierungen dahinkriechen.

Ihr schaut mit großen Augen auf die Talkshowqueen und hofft, irgendetwas von ihrem Einfluss für eure eigenen Parteibemühungen einfangen zu können. Das, jede Wette, wird aber nicht funktionieren.

Ach ja, zum Zweiten: Wenn der PV etwas spaßvögelich aufgelegt wäre, hätte er Sahra Wagenknecht viel Erfolg mit ihrer Liste bei der Europawahl gewünscht. Das wäre es doch: Sahra geht als „Spitzenkandidatin“ einer EU-Liste zurück in das Europaparlament. Dann wäre sie zwar in einem teuren goldenen Käfig, aber aus der reaktionären Dauerpräsenz in der deutschen Politik erst einmal heraus.

6.

EIN NACHTRAG ZUR CAUSA WAGENKNECHT

Wenn ich noch einen Nachtrag liefern darf zur Frage, ob Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründen will:
Natürlich diskutiert Sahra über eine solche Parteineugründung. Ich diskutiere auch über Alternativen zur LINKEN, was bei deren Zustand ja auch sehr angemessen und gerechtfertigt ist.

Aber Sahra hat ein unlösbares Problem: Ihr gesamter medialer Erfolg beruht – neben den zweifellos vorhandenen persönlichen Talenten und neben der Fleißarbeit der Partei DIE LINKE, die ihr die bezahlte politische Hauptamtlichkeit ermöglicht – auf einem Widerspruch. Der öffentliche Hype um sie ist nicht „von links“ zu untermauern. Sie wird zur Ikone erklärt, nicht weil sie links ist, sondern weil sie nicht-links ist, eine Kronzeugin gegen die Linken und die LINKE. Ihre Fangemeinde ist konservativ, spießig und sieht keine Alternative zum Kapitalismus, will diese auch nicht.

Sahra ist in dieser Hinsicht die Getriebene und nicht die Treibende. Ihr Anhang ist nicht politisch links einzubinden. Durch ein schräges, undemokratisches Konzept der One-woman-show, zu dem ihre politischen Berater:innen und wohl auch sie selbst neigen, schon gar nicht.
Nicht Sahra selbst ist von AfD-Positionen getrieben, aber der einzige Horizont ihres medialen Anhangs besteht darin.
(Wer die Bücher und Aufsätze, auch ihre parteiinterne Entwicklung ähnlich eng verfolgt wie ich, wird zudem feststellen, dass Sahra anfänglich mit populistisch-spekulativen Ambivalenzen in Richtung Rechts und AfD nur spielte, auch um sie zu entlarven, aber dass ihr das völlig entglitten ist. Heute drückt ihr nach rechts offener Populismus vor allem ihre eigenen Ängste aus, zu denen sie als Popstar der Medien sich öffentlich verhalten muss)

Die diversen Treffen und Diskussionen innerhalb der LINKEN, die angeblich im Sinne von Sahra eine neue Partei schaffen wollen, haben mit dem speziellen Problem von Sahra deshalb auch nichts zu tun. „An einigen dieser Diskussionen bin ich persönlich involviert“ sagt sie selbst. Auf den anderen Treffen wird über eine Neuauflage einer linkssozialdemokratischen, klassisch etatistischen Partei diskutiert, die nichts mit dem „Gegenprogramm“ von Sahra zu tun hat. Auch dieses Parteimodell ist konservativ, aber im Sinne von reformistischer Langweiligkeit, Konzepten von Stellvertreterpolitik und Etappentheorien statt Dialektik.

Diese grundsätzliche Konstellation gegenüber Sahra erzeugt diesen kuriosen „Warten-auf-Godot“-Effekt. Sahra wird für ein Kaleidoskop unterschiedlicher Projekte und Erwartungen in Haftung und Hoffnung genommen, die alle irgendwie auf das Kommen und „die Entscheidung“ starren. Aber Godot kommt nicht. Die realen operativen Anstrengungen, eine neue Partei aufzubauen (was ja auch keine einfache Übung ist, wie es selbst Sahra erkennt) laufen ohne Sahra, und Sahras Diskussionen laufen ohne reale politische Kräfte der Umsetzung.

„Was machen wir nun?“, heißt es bei Becketts „Warten auf Godot“. Und dann: „Wenden wir uns der Natur zu“…