Braunkohle-Abbau: energetische Brücke oder programmatischer Bruch? Vom SprecherInnen-Rat der Antikapitalistischen Linken (AKL)
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Noch beim Bundesparteitag unserer Partei Mitte Mai erklärte Katja Kipping die rot-rote Landesregierung in Brandenburg zum Exportschlager: „Und wir kämpfen mit euch gemeinsam für eine Fortsetzung von Rot-Rot in Brandenburg. Und ich gehe noch weiter: Rot-Rot ist ein tolles Produkt aus Brandenburg, das das Zeug zum Exportschlager hat. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass die Thüringer und die Sachsen dieses Produkt im Sommer importieren können!“
Genau zwei Wochen später besetzten Greenpeace-AktivistInnen das Karl-Liebknecht-Haus aus Protest gegen den von Rot-Rot in Brandenburg geplanten Ausbau des Braunkohletagebaus (Welzow-Süd II). Innerhalb von zwei Wochen wurde aus dem vermeintlichen „Exportschlager“ ein Riesenproblem. Zur Erinnerung: 2009 trat die Partei in Brandenburg mit einem Nein zum Ausbau des Braunkohletagebaus zur Wahl an.
Es hagelte innerparteiliche Kritik. In einer „Denkschrift an die linken Minister von Brandenburg“ von Mitgliedern der LINKEN, darunter auch GenossInnen der AKL, heißt es: „Die Zustimmung linker Minister zu einem Neuaufschluss eines Braunkohletagebaues würde linke Wahlversprechen in Brandenburg (Landesparteitag 2012) und im Bundestagswahlkampf 2013 brechen. (Bundestagswahlprogramm S.65 „Wir wollen stattdessen ein Kohleausstiegsgesetz durchsetzen, das ein Verbot für den Neubau von Kraftwerken und für den Neuaufschluss von Braunkohletagebauen vorsieht.“) Wie glaubwürdig sind wir dann noch, wenn linke Minister der Neueröffnung eines Tagebaues zustimmen?“ Die Schlussfolgerung der Unterzeichnenden: „Sollte die SPD die Fortsetzung der Koalition von dem Neuaufschluss von Tagebauen abhängig machen, ist es besser, unserem Parteiprogramm und Wahlprogrammen treu zu bleiben, die Koalition zu beenden, anstatt Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu verlieren und vielleicht in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten.“
Wie weit die Kritik innerhalb der Partei geht, zeigt auch die Tatsache, dass alle vier stellvertretenden Parteivorsitzenden (und weitere MdBs) am 1. Juni einen gemeinsamen Brief an die Brandenburger MinisterInnen verfassten, in dem es heißt:
„Eine zustimmende Entscheidung zum Braunkohleplan in der Kabinettssitzung am 3. Juni 2014 wird aus unserer Sicht gravierende Folgen haben: Beginnt tatsächlich der Abbau, müssten 800 Menschen umgesiedelt werden, wäre die Zerstörung von Natur in großem Ausmaße unvermeidbar und würde die Energiewende gefährdet.“ Ihre Schlussfolgerung: „Wir möchten euch daher sehr herzlich bitten, auf eine Vertagung der Entscheidung zu drängen, und im Falle der Aufsetzung bitten wir die LINKEN Ministerinnen und Minister darum, mit „Nein“ zu stimmen.“
Im Bundesausschuss der LINKEN erhielt ein Antrag aus Soest, der die MinisterInnen der LINKEN in Brandenburg aufforderten gegen den Tagebau Welzow-Süd II zu stimmen, 20 Ja-, 20 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen (und wurde damit sehr knapp zu Gunsten eines etwas softeren Textes abgelehnt).
Am 3. Juni stimmten die vier Brandenburger MinisterInnen der LINKEN trotz des Drucks und der Kritik für Welzow Süd II. Zum einen, weil sie wie Minister Helmuth Markov meinen, dass bis zu einem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung in 2040 Braunkohle als „Brücke in das Zeitalter erneuerbarer Energien unverzichtbar“ sei und auf „absehbare Zeit eine tragende Säule für Wirtschaft und Arbeit in der Lausitz“ sei. Zum anderen, weil sonst das rot-rote Projekt vor dem Aus stünde – und das 3 Monate vor der Landtagswahl, bei der sich der Landesverband eine Fortsetzung von Rot-Rot erhofft.
SPD und IG BCE argumentieren u.a. mit der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit für die 4.500 direkten und rund 5.000 weiteren indirekten Arbeitsplätze, die in Brandenburg an der Braunkohle hängen. DIE LINKE steht für die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien in Brandenburg und im Bund. Es ist wichtig, dass wir uns für Bestandssicherung und Ersatzarbeitsplätzen für betroffene KollegInnen einsetzen, damit das Thema ökologische Nachhaltigkeit nicht gegen Arbeitsplatzsicherheit ausgespielt wird.
Als die vier MinisterInnen am 2. Juni ihre Zustimmung vorab ankündigten, ließ Greenpeace einen für denselben Tag anberaumten runden Tisch scheitern, da dieser eine Farce sei.
Wir können das gut verstehen und wundern uns über die Äußerungen aus der Bundes-Parteispitze, die Greenpeace dafür kritisieren.
Machterhalt oder Glaubwürdigkeit?
Katja Kipping selbst brachte am 2. Juni auf dem Punkt, worum es geht, als sie in Bezug auf den Ausstieg aus der Braunkohle sagte: „Ich hätte es auch gern schneller. Aber ich muss auch sehen, dass es mit einer SPD auch in Brandenburg nicht schneller geht.“
Das stimmt! Aber was ist die Schlussfolgerung daraus? Den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf später zu verschieben, um an der Regierung zu bleiben, oder an der Position festzuhalten und aus der Regierung auszusteigen?
Wir sind der Auffassung, dass DIE LINKE die Koalition mit der SPD hätte beenden müssen, um ihre Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.
Der Fall Brandenburg hat nun widerlegt, was uns in den letzten Monaten in der Partei vermittelt wurde: Dass die Regierungsbeteiligung 2001 bis 2011 in Berlin problematisch gewesen sei und auch in anderen Bundesländern erhebliche Fehler gemacht worden seien, aber dass die Regierungsbeteiligung in Brandenburg doch beweise, dass es auch anders laufen könne. Vergessen war offenbar der in Brandenburg erfolgte Stellenabbau im Öffentlichen Dienst, das Bekenntnis zum Lissabonvertrag, die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und einiges mehr.
Die Brandenburger Wahlergebnisse bei den Europa- und Kommunalwahlen im Mai diesen Jahres wiesen bereits nach unten. Holte DIE LINKE zur Landtagswahl 2009 noch 27,2 Prozent, büßte sie nun über sechs Prozentpunkte ein. Auch bei der Bundestagswahl 2013 verlor DIE LINKE zwischen Prignitz und Cottbus im Landesdurchschnitt 6,1 Prozent.
Fehler oder falsche Strategie?
Was ist aber der Grund dafür, dass alle Mitte-links-Regierungen von zwei Versuchen in Italien, über Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und nun auch Brandenburg im Endeffekt die Glaubwürdigkeit der Linken geschwächt haben (in Italien führte die Regierungsbeteiligung der Rifondazione Comunista gar zur Zerstörung der Partei)? Warum verlor DIE LINKE in Berlin 2006 die Hälfte der absoluten Stimmen? Wieso stimmte der Slogan „Je stärker die LINKE, desto sozialer das Land!“ in den von Rot-Rot regierten Ländern nicht?
Wir sind der Auffassung, dass es sich dabei nicht um die Fehler einzelner MinisterInnen handelt, sondern um ein grundlegendes Problem von Regierungen mit bürgerlichen Parteien, die im Rahmen des Kapitalismus bleiben und darauf abzielen, den Kapitalismus etwas weniger unsozial zu managen. Solche Koalitionen werden immer dazu führen, dass DIE LINKE neben einigen kleinen Verbesserungen über kurz oder lang die Politik von Abschiebungen, Kürzungen, Privatisierungen oder Stellenabbau mittragen wird – auch wenn in Koalitionsverträgen etwas anderes festgehalten wurde. Ohne eine Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse werden Verbesserungen im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung nicht dauerhaft durchsetzbar sein.
Das spricht nicht dagegen, bereits heute Regierungen zu übernehmen (wie SYRIZA in Zukunft in Griechenland). Das kann aber nur auf Grundlage von Massenmobilisierungen geschehen und dem Ziel, mit den heutigen kapitalistischen Eigentumsverhältnissen zu brechen.
Was in Griechenland möglich erscheint, ist mit SPD und Grünen in Deutschland jedoch nicht umsetzbar. Sie stehen in der Praxis für die Prekarisierung von Arbeitsbedingungen wie die Ausweitung der Leiharbeit. Agenda 2010, Hartz IV, die Rente mit 67, Schuldenbremse und Bankenrettungspakete lassen grüßen. SPD und Grüne treten für die Schuldenbremse ein und setzen sie auf Landesebene um – die Grünen derzeit allen voran gemeinsam mit der CDU in Hessen. Von Rot-Grün ging 1999 die Zustimmung zum ersten Kriegseinsatz nach 1945 aus. Steinmeier lässt sich heute mit einem Präsidenten der Ukraine ablichten, der Faschisten in seine Regierung einbezogen hat.
Wenn Bundes- oder Landesregierungen, an denen SPD und Grüne beteiligt sind, etwas Progressives beschließen, geschieht dies nicht aufgrund eines Linksrucks dieser Parteien, sondern aufgrund gesellschaftlichen Drucks von unten. Das ist der Fall beim (löchrigen) Mindestlohn durch die Große Koalition. Das war ebenfalls so, als die Studiengebühren in Hessen aufgrund massiven Drucks von unten zurückgenommen wurden. Im Übrigen: Auch Schwarz-Gelb nahm Verschlechterungen wie die Praxisgebühr zurück. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, eine Koalition mit der Union, geschweige denn der FDP vorzuschlagen.
Veränderung beginnt mit Opposition
In unserem Aufruf für eine antikapitalistische Linke aus 2013 schreiben wir:
„Im Kapitalismus wurden alle emanzipatorischen Errungenschaften von Arbeiter-, Frauen-, Umwelt- und anderen Bewegungen erkämpft und sind einer permanenten Gefahr ausgesetzt. (…) In Kenntnis dieser Erfahrungen ist die AKL davon überzeugt, dass die meisten im Erfurter Programm skizzierten Ziele nur gegen den Widerstand mächtiger Kapitalgruppen und unter Bruch mit der Profitlogik zu erreichen und auf Dauer nur international und jenseits des Kapitalismus zu sichern sind. Dabei vertritt die AKL die Überzeugung, dass die dafür notwendige Veränderung der gesellschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien, sondern nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen und gewerkschaftliche Kämpfe erzeugt werden kann. (…)
In Deutschland befindet sich DIE LINKE in der Minderheit und es gibt keine Partei im Bundestag, mit der sie in Koalitionen ihre Ziele durchsetzen könnte. DIE LINKE steht in den meisten Fragen allein gegen das Kartell der anderen Parlamentsparteien. Alle Wahlen seit 2009 haben sehr deutlich gemacht, dass es kein „linkes Lager“ von SPD, Grünen und LINKE gibt und keine „Mehrheit links von der Mitte“, die SPD und Grüne einschließt. SPD, Grüne, FDP und CDU wählen ihre Koalitions- und Regierungsoptionen beliebig nach tages- und machtpolitischen Kriterien aus, sie stehen geschlossen für eine Austeritätspolitik, die nur den Interessen des deutschen Kapitals dient. Ein gemeinsam in den Wahlen erfolgreiches linkes Lager ist illusionäres Wunschdenken. Es ist also keine Schande oder ein Manko, sondern traurige Realität, dass nur DIE LINKE konsequent die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertritt.
Die AKL setzt sich dafür ein, dass DIE LINKE diese Rolle künftig noch hartnäckiger und phantasievoller ausfüllt. Dabei werden wir jeder Verbesserung, die von anderen Parteien im Parlament beantragt werden, im Einzelfall zustimmen. Jeden Schritt in die Richtung, die Roten Haltelinien im Erfurter Programm zu verwässern, lehnt die AKL dagegen ab.“
Wir würden uns freuen, wenn die linken Kräfte in der LINKEN sich verständigen würden, wie wir in Zukunft gemeinsam der Idee eines angeblichen linken Lagers von SPD, Grünen und der LINKEN selbstbewusst entgegen halten können: Veränderung beginnt mit Opposition – im Bund, in Brandenburg, Sachsen und auch in Thüringen. Es ist Zeit für einen Kurswechsel.
Und: Für den 23. August ruft ein breites Bündnis aus deutschen und polnischen Bürgerinitiativen der Region und Umweltverbänden zu einer grenzübergreifenden Menschenkette gegen die Braunkohle auf. Beteiligen wir uns daran!