Deutsche »Eliten« plaudern aus dem Nähkästchen. Patt in der Russland-Frage und Panik vor einem Zusammenbruch Frankreichs treibt herrschende Klasse um. Von Sebastian Carlens
In Zeiten einer großen Koalition ist es nicht leicht, etwas von Meinungsverschiedenheiten des herrschenden Personals zu erfahren. Schließlich sitzen die Spitzenpolitiker der beiden größten Parteien in einer gemeinsamen Regierung. In jedem Interview wird gelobt, gejubelt und gepriesen. Doch ganz so harmonisch läuft es in den Chef- und Vorstandsetagen natürlich nicht ab. Einen Einblick bietet das »Elite-Panel« der Zeitschrift Capital, eine seit 1987 zweimal im Jahr durchgeführte Befragung von »Entscheidern« aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Am Mittwoch präsentierte das Wirtschaftsmagazin Capital gemeinsam mit dem Allensbach-Institut für Demoskopie in Berlin die Ergebnisse der jüngsten Erhebung. Angesprochen worden waren unter anderem »134 Geschäftsführer und 69 Firmeninhaber«, aber auch 14 Ministerpräsidenten, Bundes- wie Landesminister, Fraktionsvorsitzende und »30 Leiter von Bundes- und Landesbehörden«. Unter den befragten Wirtschaftskapitänen repräsentierten 140 Chefs Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten.
Die gute Nachricht präsentierte Horst von Buttlar am Mittwoch zuerst: »Es gibt«, so der Capital-Chefredakteur, in der Wirtschaft »so gut wie keine Pessimisten mehr«. Die Auftragsbücher sind voll, die Konjunktur brummt: 68 Prozent der befragten »Führungsspitzen« glauben, daß es »mit der Konjunktur in den nächsten sechs Monaten eher aufwärts« gehe. Die eigene Auftragslage beurteilen gar 77 Prozent als »gut« oder »sehr gut«.
Doch Deutschlands Exportwunder braucht Partner, die in der Lage sind, die Waren abzunehmen – und zu bezahlen. Hier nimmt der Euro-Raum nach wie vor eine Schlüsselstellung ein. Seine weitere Entwicklung besorgt die »Spitzenentscheider« dementsprechend am stärksten: 44 Prozent der Befragten halten den Niedrigzinskurs der EZB für falsch, 53 Prozent finden ihn richtig. Dabei überwiegt die Ablehnung aus der Wirtschaft: 47 Prozent von deren Vertretern sprechen sich gegen die EZB-Politik aus, bei den Politikern sind dies nur 28 Prozent. Die relative Erholung in der Euro-Zone schreiben die Befragten mehrheitlich mit 67 Prozent der Entspannung auf den Finanzmärkten und damit in erster Linie einem psychologischen Effekt zu. Eine reale »Verbesserung in den Krisenländern« sieht nur ein knappes Viertel. Das »größte Risiko für die wirtschaftliche Stabilität der Euro-Zone« stellt für die deutschen »Eliten« Frankreich dar: Für 76 Prozent sei das Land das »Hauptproblem«, so Renate Köcher von Allensbach (2013: 62 Prozent). Unausgesprochen ist dies auch ein Mißtrauensvotum gegen den Euro. Denn sollte die französische Wirtschaft kollabieren, wäre diese gemeinsame Währung Geschichte, ebenso wie die Achse Paris–Berlin. Die ganze EU sei, so Köcher, ein »Elitenprojekt, das muß man einfach einsehen«.
Drastisch auseinander gehen die Einschätzungen zur »Energiewende«: 57 Prozent der Wirtschaftsleute halten den Ausstieg aus der Kernenergie für falsch, 79 Prozent der Politiker finden ihn richtig. Um die Versorgungssicherheit bekümmern sich die »Entscheider« jedoch nicht: Ganz im Gegensatz zu den bürgerlichen Medien, die Rußland unter Wladimir Putin als Paria der Weltgemeinschaft darstellen, glauben 66 Prozent der Befragten, daß das Land ein »sicherer Partner« in Sachen Energie sei. Das sind zehn Prozent mehr als im Jahr 2007. Bei Wirtschaftssanktionen besteht ein Patt (die Befragungen wurden unmittelbar vor dem mutmaßlichen Abschuß des malaysischen Passagierflugzeugs über der Ukraine abgeschlossen). Dabei überwiegt bei den Vertretern der Politik leicht die Annahme, mit Sanktionen gegen Rußland Wirkungen erzielen zu können (55 Prozent), bei denen der Wirtschaft eher das Mißtrauen gegenüber solchen Maßnahmen (52 Prozent). Beim Ausschluß Rußlands aus den G-8-Staaten sieht es ähnlich aus: 48 Prozent aller Befragtenfinden dies falsch, 51 Prozent richtig. 62 Prozent meinen, daß die EU die Beziehungen zu Rußland »vernachlässigt« habe.
Einigkeit zwischen Bevölkerung, Politik und Wirtschaft bestehe weitgehend in der Ablehnung eines »stärkeren militärischen Engagements« in aller Welt, so Renate Köcher. Knapp 60 Prozent der Befragten finden, daß das aktuelle Ausmaß an Militäreinsätzen ausreiche. Dies decke sich mit allgemeinen Erhebungen. Nur 34 Prozent folgen Bundespräsident Joachim Gauck und fordern, Deutschland müsse sich stärker einmischen.
Die Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) wirbt für eine Modifikation des Euro – im Falle eines Zusammenbruchs Frankreichs könnte dies auch für das Monopolkapital interessant werden. Doch derzeit ist die AfD für die »Eliten« noch keine Alternative. Nur 28 Prozent rechnen damit, daß sich die neue Partei dauerhaft etabliert. Immerhin: Für einen Ausschluß jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD seitens der Unionsparteien plädieren nur knapp 49 Prozent. 47 Prozent aller Befragten wollen die »Zusammenarbeit offenhalten«.