Regierungsbeteiligung nur unter besonderen Bedingungen

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Impulsreferat auf der Landesmitgliederversammlung der LINKEN Schleswig-Holstein am 23.03.2015 in Neumünster. Von Rainer Beuthel

Liebe Genossinnen und Genossen,
zur Problematik von Regierungsbeteiligungen unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen werde ich drei Kerngedanken formulieren. Erstens geht es leider nicht ohne etwas marxistische Staatstheorie: Regierungen im Kapitalismus bilden die Spitze des Staatsapparates, dessen Aufgabe im Wesentlichen darin zu sehen ist, die bestehenden Produktionsverhältnisse und -bedingungen nachhaltig abzusichern und im Verlauf aller Krisen für ihre ständige Reproduktion zu sorgen. Regierungen handeln dabei nicht einfach im unmittelbaren Interesse der ökonomisch Herrschenden, sind mit ihnen auch nicht identisch wie im Feudalsystem, sondern versuchen aus einer relativ unabhängigen Position einen Ausgleich zwischen sich widersprechenden ökonomischen bzw. gesellschaftlichen Interessen herzustellen, wodurch die möglichst reibungslose Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie und der Erhalt ihrer Herrschaftsstruktur garantiert wird. Dazu gehören u.a. auch die Sicherstellung der Reproduktion der Arbeitskraft der lohnabhängig Beschäftigten über die Sozialgesetzgebung oder die Stützung des Bankensystems als Grundlage der kapitalistischen Geldzirkulation bzw. des Kreditwesens, ohne das die Wirtschaft nicht funktionieren kann. Entgegen mancher Legenden auch aus unseren Reihen steht die bürgerliche Demokratie dabei nicht im Widerspruch zur Ökonomie, sondern bildet die ideale Ergänzung zu ihr. Ideologisch abgesichert werden der Staat und an seiner Spitze die Regierungen mit der Behauptung, ein vorgebliches „Gemeinwohl“ zu vertreten. Der Zweck dieser Ideologie ist es, die tatsächlichen gesellschaftlichen Widersprüche und Klassenverhältnisse zu verschleiern. „Gemeinwohl“ bedeutet auf staatlicher Ebene in letzter Instanz immer das Interesse der herrschenden Klassen.

Zweitens: Im Gegensatz zur gegenwärtigen Sozialdemokratie, die lediglich soziale Reformen erreichen will, ohne die kapitalistische Produktionsweise im Grundsatz in Frage zu stellen, will DIE LINKE das „kapitalistische Ausbeutungssystem“ überwinden, so steht es in unserem Parteiprogramm. Durch einen bloßen Regierungseintritt, etwa in eine so genannte „rot-rot-grüne“ Regierung sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene ist dies nicht zu erreichen, sondern nur im engen und aktiven Zusammenwirken mit einer außerparlamentarischen gesellschaftlichen Massenbewegung, die nicht allein soziale Alltagsforderungen stellt im Sinne von „mehr sozialer Gerechtigkeit“, sondern die den bewußten und tatsächlichen Bruch mit dem Kapitalismus anstrebt, also sozialistische Ziele vertritt, z.B. die Vergesellschaftung von Teilen der Wirtschaft, wie etwa der großen Energiekonzerne – unter demokratischer Kontrolle. Im Rahmen einer solchen starken gesellschaftlichen Bewegung könnte ein Regierungseintritt ab einem bestimmten Moment für DIE LINKE nicht nur sinnvoll, sondern notwendig sein. Diese Bewegung existiert zur Zeit noch nicht. Es käme auf eine Bewegung an, die sich nicht nur „konsequent sozial“, sondern bewußt und erklärtermaßen sozialistisch positioniert, also die „Systemfrage“ stellt. Es ist unsere Aufgabe, an der Entstehung dieser Bewegung mit zu wirken, anstatt Illusionen über einen bald möglichen Regierungseintritt und dessen angeblich heilsame Folgen zu verbreiten. Die Erfahrungen aus Regierungsbeteiligungen der PDS und der LINKEN sind eher negativ, z.B. in Berlin. Zudem hat sich gezeigt, daß soziale Veränderungen im Rahmen des Bestehenden auch aus der Opposition heraus zu erreichen sind, ohne daß zugleich allerlei „Kröten geschluckt“ werden müssen. Zu Recht wird hier von unserer Seite z.B. die Einführung des Mindestlohnes genannt, auch wenn das jetzt beschlossene Modell bei weitem nicht zufrieden stellen kann. Es hat sich aber erwiesen, daß „links“ ohne Eintritt in Regierungen wirkt. Dies wird aktuell durch unser gutes Wahlergebnis in Hamburg bestätigt.

Drittens: Auch wenn der Kapitalismus in seiner Entwicklung einen rasanten Wandel erfahren hat, man also die Verhältnisse etwa aus der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nicht schematisch auf die Gegenwart übertragen kann, sind doch einige Grundstrukturen, etwa die Funktion von Regierungen relativ konstant geblieben. Deshalb ist auch die Haltung Rosa Luxemburgs zur Regierungsfrage weiterhin bedenkenswert, wobei es nicht auf wortwörtliche Übernahme ihrer Argumente ankommt, sondern auf ihre grundsätzliche Haltung in dieser Frage. Rosa hat sich bekanntermaßen gegen ultralinke Positionen ausgesprochen, die sogar jegliche Beteiligung an Wahlen ablehnten. Sie hat sich für Wahlbeteiligung eingesetzt, damit die Sozialdemokratie in den Parlamenten sozialistische Positionen öffentlich vertreten kann, die Parlamente also als „Bühne“ nutzt. Zugleich hat Rosa gegen die Beteiligung an bürgerlichen Koalitionsregierungen gefochten, etwa in ihrem Aufsatz „Eine taktische Frage“ aus dem Jahr 1899, worin sie sich mit dem Regierungseintritt der französischen Sozialisten auseinander setzte, den sie als „opportunistisch“ kritisierte. Allerdings hielt sie einen Regierungseintritt für denkbar, um in einer außergewöhnlichen politischen Situation, etwa einer fundamentalen Bedrohung von Republik und Demokratie, für deren Verteidigung zu sorgen. All dies erscheint mir weiterhin als schlüssig.

Mein Fazit: Die punktuelle Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie und den anderen bürgerlichen Parteien im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung vor Ort muß entwickelt und genutzt werden, um unterhalb der gesetzlichen Ebene kleine soziale Verbesserungen im Interesse unserer Wählerschaft durchzusetzen – wie anders könnte ich als gewählter Mandatsträger hier auch argumentieren. Regierungsbeteiligungen im Kapitalismus halte ich aber nur unter ganz bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen für sinnvoll. Diese sind noch nicht herangereift. Worin diese Bedingungen bestünden – darüber lohnte es sich gemeinsam nachzudenken, anstatt sich alle paar Monate wieder erneut die Frage stellen zu müssen, wie man die teilweise peinlichen Anbiederungsversuche an SPD und GRÜNE von Seiten einiger Führungskräfte der LINKEN wieder gerade rücken kann.

Rainer Beuthel