Der Schnitt heiligt die Klassenspaltung

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Aktuelle Shell-Studie verdeutlicht soziale Kluft der Jugendlichen in der BRD. Von Yannic Dyck

Eine leistungsbereite, motivierte, angepasste, systemkonforme Jugend, die weder aufbegehrt noch in Frage stellt, wünscht sich jeder bürgerliche Politiker und jeder Kapitalist. Auf der anderen Seite wäre es der Alptraum der herrschenden Klasse, dass eine kritische, kämpferische und selbstbewusste Jugend heranwächst, die sich organisiert und von den kapitalistischen Fesseln der Ausbeutung, Unterdrückung und Entfremdung befreit. Doch wie tickt die Jugend wirklich? Einen groben Gradmesser über aktuelle Stimmungsbilder bietet die nun erschienene Shell-Studie, die sich im Fünfjahrestakt mit Einstellungen und Meinungen von Zwölf- bis 25-Jährigen auseinandersetzt.

Das Bürgertum ist optimistisch!

Die herrschende Klasse und ihre Medien nehmen die Shell-Studie zum Anlass, eine wahre Lobeshymne auf die Jugend von heute anzustimmen „Die Jugend in Deutschland blickt positiv in die eigene Zukunft und in die Zukunft der Gesellschaft, ist mehrheitlich stolz auf das Land, in dem sie aufwächst, hält Familienwerte hoch und bejaht mehrheitlich auch Leistungswerte wie Fleiß und Ehrgeiz“, erfreut sich die konservative FAZ über eine scheinbar zufriedene, glückliche Generation, der alle Türen offen zu stehen scheinen. Springers Welt titelt „Deutsche Jugendliche blicken optimistisch in die Zukunft“ und erweckt den Eindruck, alles sei gut so wie es ist, in der bürgerlichen Klassengesellschaft. Besonders gehypt wird dabei der Befund, dass 61% der Befragten positiv in die Zukunft blicken. Viel interessanter ist jedoch, was WELT, FAZ und Co. uns hierbei verschweigen. Tatsächlich kommt der hohe durchschnittliche Optimismus dadurch zustande, dass vor allem Jugendliche aus privilegierten, bürgerlichen Elternhäusern zu großen Teilen einer rosigen Zukunft entgegenblicken. So stimmten ganze 74% der Kinder und Jugendlichen aus der Oberschicht der Aussage zu. Von den Befragten aus der sozial „schwächsten“ Schicht hingegen blickt lediglich ein Drittel optimistisch in die Zukunft. Hinsichtlich der Realisierbarkeit beruflicher Ziele zeigen sich 81% der Eliten zuversichtlich, während es bei den Kindern und Jugendlichen, die in der Studie zur untersten Schicht gezählt werden, gerade einmal 46% sind. Hier wird die Klassenspaltung der Gesellschaft sichtbar, zu der die bürgerlichen Medien schweigen. Ebenfalls auffällig ist der zunehmende Pessimismus der sozialen Mittelschichten. Während vor fünf Jahren noch 62% der oberen Mittelschicht eine positive berufliche Zukunft erwarteten, sind es nun nur noch knapp mehr als die Hälfte.

Die Klassengegensätze haben System

Diese Ergebnisse sind weder eine Überraschung noch Zeugnis einzelner politischer Fehlentwicklungen, sondern logische Folge eines Systems, das auf Leistungszwang, Gewinnstreben, Konkurrenz und wirtschaftlicher Verwertung basiert. Im Kapitalismus wird die Mehrheit der Menschen dazu gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Der gesellschaftliche Reichtum, der dadurch entsteht, bleibt der arbeitenden Bevölkerung jedoch vorenthalten. Die Kapitalisten reißen sich den von ihren Angestellten geschaffenen Reichtum selbst unter den Nagel und erhalten durch diese fremde Arbeit Millionen und Milliarden an Euro, während die Beschäftigten nur einen Teil des Wertes ihrer Arbeitskraft als Lohn zurückerhalten. Davon sollen sie Miete, Strom, Ernährung, Sportvereine usw. für sich und ihre Familien bezahlen. Da nicht genug (gut bezahlte) Jobs vorhanden sind, die den Arbeiter*innen ein Leben in Würde und Sicherheit bieten können, werden sie gezwungen, um eine möglichst privilegierte Stellung auf dem Arbeitsmarkt zu konkurrieren. Ein Beispiel dafür wie diese kapitalistische Logik auf uns einwirkt, ist das Bildungssystem der BRD. Von klein auf werden die Kinder durch regelmäßige Leistungstests, Notendruck und ein mehrgliedriges Schulsystem dazu gedrängt, zu funktionieren und besser sein zu müssen als andere, um die Klausuren mit guten Noten zu bestehen und um möglichst eine Gymnasialempfehlung zu erhalten. Den Kindern wird schnell klar gemacht, dass es nicht darum geht, sich mit sich und der Welt auseinanderzusetzen, Kreativität und Neugier auszuleben und frei nach ihren Bedürfnissen und Interessen zu lernen, sondern darum, im brutalen Selektionsapparat Schule mitzuhalten, besser als andere zu sein. Die Belohnung dafür ist dann die Aussicht auf eine Ausbildung, auf einen Studienplatz, auf einen gut bezahlten Job. Kinder aus privilegierten Elternhäusern können sich dabei meist auf die Unterstützung von zu Hause verlassen, sie bekommen die Möglichkeit sich Nachhilfe finanzieren zu lassen oder teure Privatschulen zu besuchen. Diese Chance haben die meisten Kinder der Arbeiterklasse, von Sozialhilfeempfänger*innen oder prekär Beschäftigen nicht. Hinzu kommen sogenannte „heimliche Lehrpläne“ die dazu führen, dass Lehrkräfte Schüler*innen aus bürgerlichen Elternhäusern verstärkt fördern und bei gleichen Leistungen gegenüber Arbeiterkindern und Migrant*innen bevorzugen. Demnach ist es auch kein Wunder, dass das Bildungssystem die Klassenstruktur der Gesellschaft reproduziert und dass die Chancen auf dem Bildungsmarkt immer noch vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Die Folge ist, dass Kinder aus der Oberschicht in der Regel ganz selbstverständlich Abitur machen und studieren können, während Kinder aus sozial benachteiligten Milieus meist in die Hauptschulen abgeschoben werden, keinen Ausbildungsplatz finden und gezwungen sind, sich für Niedriglöhne ausbeuten zu lassen. Dass Jugendliche aus diesen Schichten und Klassen da nicht positiv in die private und berufliche Zukunft blicken, verwundert nicht.

Jugendliche lehnen die herrschende prokapitalistische Politik ab!

Ein weiterer Befund aus der Shell-Studie der medial besonders herausgegriffen wurde, ist das steigende politische Interesse der Mehrheit der Jugendlichen (41% gaben an sich für Politik zu interessieren). Doch auch hier werden die Klassengegensätze verschwiegen. Denn während die Kinder aus dem Großbürgertum zu 54% an Politik interessiert sind, liegt der Wert in den sogenannten „unteren Schichten“ bei gerade einmal 24%. Hinzu kommt, dass der herrschenden Politik seitens der Jugendlichen keinerlei Vertrauen entgegengebracht wird. Die überwältigende Mehrheit ist laut Studie der Meinung, dass sich die Politiker*innen nicht darum kümmern, was die ganz normalen Leute denken. Diese Ablehnung des bürgerlichen Parteienkartells und ihrer Politik im Interesse der Banken und Konzerne kommt nicht von ungefähr. Während SPD, CDU, Grüne und FDP mit ihrer Politik aus Sozialkürzungen, Stellenabbau, Privatisierungen und Lohndumping das Leben für die Mehrheit der Menschen systematisch verschlechtern, sozialen Abstieg, wachsende Armut und immer stärkere Ausbeutung fördern, profitieren von dieser Politik die Superreichen. Die Kapitalisten werden trotz Wirtschafts- und Bankenkrise immer reicher, während die einfache Bevölkerung die Zeche bezahlt. Kürzungsmaßnahmen und Schuldenbremse sorgen dafür, dass vielerorts die kommunale Infrastruktur zerfällt, Sportplätze, Schwimmbäder und Jugendzentren geschlossen werden, während die Chefs und Besitzer der Banken und Konzerne gar nicht mehr wissen, wo sie ihre Milliarden stapeln sollen.

Es braucht antikapitalistische Antworten!

Angesichts dieser großen Entfremdung vom Kapitalismus und seinen Parteien, wäre eine politische Kraft notwendig, die auf die Jugendlichen zugeht, ihnen eine Stimme gibt und eine Alternative zum kapitalistischen Normalzustand anbietet. Die Partei DIE LINKE und die Linksjugend könnten solche Kräfte sein. Eine revolutionär-sozialistische Massenpartei, die mit ihrer Jugendorganisation auf den Straßen, in den Betrieben, Schulen, Berufsschulen und sozialen Bewegungen präsent ist, könnte den Jugendlichen Hoffnung geben und sie motivieren, für eine befreite Gesellschaft ohne Leistungszwang, Konkurrenzdruck, Hartz IV, Leiharbeit, Rassismus und Ausbeutung zu kämpfen. Doch dafür müsste DIE LINKE als konsequente antikapitalistische Systemalternative auftreten, anstatt sich der neoliberalen Verarmungs- und Kürzungspolitik bürgerlicher Parteien wie der SPD anzubiedern – oder diese sogar (wie aktuell in Koalitionen in Thüringen oder Brandenburg) selbst umzusetzen. DIE LINKE muss sich entscheiden, ob sie an der Seite der entrechteten Klasse – der Jugendlichen und der erwerbstätigen und die Erwerbslosigkeit gedrängten Lohnabhängigen – steht und gemeinsam mit der ausgebeuteten Mehrheit für den Umsturz der Eigentumsverhältnisse kämpft, die diese Entrechtung zu verantworten haben, oder ob sie auf Klassenkollaboration setzt, um zusammen mit den Parteien des Kapitals zu regieren. Was für ein unglaubliches Potenzial in der Jugend steckt, zeigen Aktionen wie der Refugee-Schulstreik in Berlin und viele weitere Aktionen, in denen Schüler*innen sich vernetzen und politische Kämpfe auf die Straße tragen. Auch die mehr als 250.000 Demonstrant*innen gegen einen vergleichsweise abstrakten Angriff wie das TTIP-Abkommen beweist das ungeheure Widerstandspotenzial in der Bevölkerung, sobald die gewerkschaftlichen und politischen Massenorganisationen auch nur ansatzweise (z.B. bei der Bereitstellung von Bussen) ihren Aufgaben gerecht werden. Die Shell-Studie belegt unter anderem, dass die Beteiligung von Jugendlichen an Demonstrationen stark zugenommen hat, während der bürgerliche Parlamentarismus sie größtenteils abschreckt.

Zwar bereiten einige Befunde der Shell-Studie durchaus Sorgen. So spricht sich die Mehrheit der Befragten dafür aus, dass die BRD eine Führungsrolle in Europa innehaben solle und gibt an, stolz auf Deutschland und die deutsche Geschichte zu sein. Doch sind solche Ergebnisse auch immer im Kontext einer breiten Perspektivlosigkeit und Unsicherheit zu betrachten. Einerseits werden die herrschende Politik und das kapitalistische System mehrheitlich abgelehnt, andererseits bleiben die Spaltungsmechanismen der Herrschenden entlang nationaler Kriterien für die Arbeiterklasse und die Jugend nicht ohne Wirkung. Hier muss eine starke gesellschaftliche Linke ansetzen, Antworten geben und der falschen Identifikation entlang nationaler Linien eine wirkliche Klassensolidarität entgegensetzen. Die Möglichkeiten dafür sind gegeben. Denn die Mehrheit der Jugendlichen ist, wie die Studie zeigt, für Einwanderung, für die Aufnahme von Geflüchteten und gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr.

Ein anderes Gesellschaftssystem ist möglich!

Jetzt gilt es diese Befunde aufzugreifen und den Jugendlichen zu zeigen, dass Krieg, Hetze gegen Flüchtlinge, soziale Selektion an Schulen, Perspektivlosigkeit und soziale Ausgrenzung nicht in Stein gemeißelt, sondern Produkt eines Systems sind, dass es einer Minderheit, den Besitzern der Produktionsmittel, ermöglicht, über die Mehrheit zu herrschen. Wenn sich die Jugend organisiert, das kapitalistische Wirtschafts- und Herrschaftssystem als Ursache für die erwähnten Probleme erkennt und gemeinsam mit allen Lohnabhängigen für eine Welt kämpft, in der das Gemeineigentum über die Produktionsmittel und die demokratische Verwaltung und Planung der Wirtschaft das Zusammenleben bestimmen, kann von ihr eine unvorstellbare Kampf- und Gestaltungskraft ausgehen. Dann kann der Alptraum der herrschenden Klasse zur Realität werden.

Yannic Dyck, Basisgruppe revolutionärer Antikapitalist*innnen Göttingen & Landessprecher der Linksjugend [‘solid] Niedersachsen

Zuerst erschienen auf: bragoettingen.wordpress.com

 

Quellen:

Zusammenfassung Shell-Jugendstudief

Welt-Bericht

FAZ-Bericht