Frauen*streik am 8. März 2019
von Ingrid Jost
Vor hundert Jahren erkämpften die Frauen* in Deutschland nach jahrelangen Auseinandersetzungen das allgemeine aktive und passive Wahlrecht. Es trat am 30. November 1918 in Kraft. Als erste Frau* in der Weimarer Nationalversammlung spricht am 19. Februar 1919 die Sozialdemokratin Marie Juchacz aus Berlin:
„Ich möchte hier feststellen …, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ |
Ein Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse macht deutlich, dass hundert Jahre später Frauen* in Deutschland noch immer zahlreiche Gründe haben, gegen Diskriminierung und für ihre Rechte weiter zu kämpfen. Erfreulicherweise ist der Widerstand gegen sexuelle und psychische Gewalt, Umweltzerstörung, prekäre Arbeitsverhältnisse und diverse Formen der Diskriminierung in Deutschland deutlich sichtbarer geworden und allein in Berlin protestierten letztes Jahr allein immerhin 10.000 Menschen am Internationalen Frauen*tag. In Spanien dagegen waren es 5,3 Millionen, die in 120 Städten auf die Straße gingen für Gleichberechtigung und gegen Machismo.
Gesellschaftliche Missstände, die es zu beseitigen gilt
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt, die Einkommensschere öffnet sich zunehmend und auch die Lebenslagen von Armen, Mittelschicht und Reichen fallen immer weiter auseinander. Die Mittelschicht schrumpft und die Ränder nehmen zu. Die Befragung von jährlich 11.000 Haushalten ergab, dass 1991 rund 11 Prozent aller Menschen in Deutschland einkommensarm waren, und die Quote bis 2015 auf knapp 16,8 Prozent angestiegen ist. Die Quote bei den Reichen stieg von 5,6 auf 7,5 Prozent. Der Anstieg von Armut ist u.a. durch den Ausbau von prekärer Beschäftigung und dem Niedriglohn-Sektor verursacht. Insbesondere bei Minijobs und Teilzeit sind mehrheitlich Frauen* betroffen. Diese Arbeitsverhältnisse sind in der Regel ein Garant für zukünftige Altersarmut.
Spitzenwerte kann Deutschland bei der Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen* vorweisen. Nach Estland und der Tschechischen Republik liegt Deutschland mit 22% auf Platz 3 in der EU (Datenbasis 2015). In Deutschland gibt es einen gravierenden Lohnunterschied zwischen alten und neuen Bundesländern, der in den neuen deutlich niedriger ist und u.a. auf ein anderes Frauenbild, eine andere berufliche Integration von Frauen* und entsprechende Kita-Plätze zurückzuführen ist. Die traditionelle Arbeitsteilung mit dem männlichen „Haupternährer“ und der weiblichen „Zubrot-Verdienerin“ ist auch heute noch verbreitet und zwar mit weitaus mehr Zustimmung im Westen als im Osten.
Der halbherzige Versuch, die Lohndiskriminierung von Frauen* zu beenden, zeugt ebenfalls nicht von einer kulturellen Überlegenheit, wohl eher davon, den Status quo so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, das seit dem 6. Januar 2018 in Kraft ist, soll künftig für mehr Lohn-Gerechtigkeit sorgen. Den Nachweis für die Lohndiskriminierung sollen die Diskriminierten selbst erbringen, auch wenn es ein Recht auf Auskunft durch den Arbeitgeber für den konkreten Vergleichsfall gibt, allerdings nur über das durchschnittliche Jahreseinkommen. Außerdem lässt das Gesetz mehr als die Hälfte der Frauen* im Regen stehen, weil es nur für Betriebe ab 200 Beschäftigten gilt. Das Auskunftsrecht wird jedoch durch die Priorität des Datenschutzes begrenzt, der dann greift, wenn weniger als 6 Personen in einem Bereich arbeiten. Dann wird der Nachweis der Lohndiskriminierung unmöglich für die Betroffenen. Sehr viel konsequenter ist das isländische Gesetz zur Lohngleichheit, das ebenfalls seit Januar 2018 in Kraft ist. Es gilt für Betriebe ab 25 Beschäftigten und verpflichtet die Arbeitgeber, Lohngleichheit zu belegen und den Vorwurf der Entgeltdiskriminierung zu entkräften. Das Gesetz wird mit Hilfe von staatlichen Kontrollen durchgesetzt. Auch wenn dieses Gesetz noch verbessert werden kann, so sind die Umkehr der Beweislast, die staatliche Kontrolle und der größere Gültigkeitsbereich nachahmenswerte Schritte in die Richtung tatsächlicher Entgeltgleichheit.
Krieg, Terror und Vergeltungsschläge oder Auslandseinsätze sind ebenfalls nur unmenschliche Gewaltakte die weltweit geächtet werden müssen, weil sie immer unschuldige Opfer fordern und nur Kapital- und Machtinteressen dienen. Außerdem vergewaltigen Soldaten in fast allen Ländern der Erde Frauen* als Mittel der Kriegsführung. Eine Hintergrund-Meldung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 21.11.2018 legt nahe, dass der gefährlichste Platz für Frauen* der eigene Haushalt ist. Über 82 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind Frauen* und zwar aus allen sozialen Schichten. Die aktuelle polizeiliche Kriminalstatistik hat 11.800 Fälle von gefährlicher Körperverletzung erfasst, über 1.500 Fälle von Freiheitsberaubung und 364 Delikte von Mord und Totschlag. Die Statistik erfasst nur die angezeigten Gewalttaten, die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein. Das BMFSFJ betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Stellen, allerdings sehr viel mehr auf dem Papier als in der Realität. Der Rüstungsetat wird zwar deutlich erhöht, doch für die Einrichtung der erforderlichen Plätze in den Frauen*häusern fehlen den zum Teil verschuldeten Kommunen häufig die notwendigen finanziellen Mittel oder der politische Wille, dieses Problem mit Vorrang zu lösen.
Eine paritätische Beteiligung auf allen Ebenen wird den Frauen* jedoch nach wie vor vorenthalten. Im Bundestag ist der Frauen*anteil von 1949 mit 6,8 % bis zum Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen und lag in dem Jahr bei 36,3 %. Im Jahr 2017 ist der Frauen*anteil erstmalig wieder gesunken und liegt mit einem Anteil von 30,9% auf dem Stand von 1998.
Die reproduktive unbezahlte Haus- und Familienarbeit ist in der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft überwiegend Frauen*arbeit, die, wenn sie in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einfließen würde, älteren Schätzungen zufolge an Geldwert gemessen, etwa ein Drittel des Sozialprodukts moderner Industriegesellschaften ausmacht.
Männer beteiligen sich auch weiterhin nur unzureichend an der unbezahlten Haus- und Familienarbeit, während die Frauen* den sogenannten „männlichen Produktivkräften“ den Rücken freihalten, obwohl ein Großteil der Frauen* ebenfalls zu den Produktivkräften gehört und u.a. in der Textilbranche schon immer dazugehört hat. Den Löwenanteil der Hausarbeit leisten teilzeitarbeitende Frauen*, die damit nur selten eigene Rentenanwartschaften oberhalb der Armutsgrenze erwirtschaften können.
Die internationale feministische Bewegung
Angesichts der gegenwärtigen Weltlage, die geprägt ist von Krisen und Kriegen, gehen die feministischen Bemühungen weit über die paritätische Beteiligung in irgendwelchen Parlamenten und Gremien hinaus. Die feministische Bewegung will gleichberechtigt mitentscheiden im Kampf um eine friedliche Gesellschaft, die achtsam mit den Mitmenschen, der Umwelt und der Natur umgeht.
Aus diesem Grund haben Feministinnen beschlossen, dem Beispiel der spanischen Frauen* vom 8. März 2018 zu folgen, denen es gelungen war, 5,3 Millionen Menschen auf die Straße zu bringen. Die feministische Bewegung in Deutschland und in anderen Ländern will am internationalen Frauen*tag 2019 ähnlich erfolgreich sein.
Unter dem Motto „Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still“ fand am 10. und 11. November das 1. bundesweite Vernetzungstreffen in der Universität Göttingen statt. Mehr als 300 Menschen hatten zunächst die Gelegenheit, auf dem Eröffnungspodium von Frauen* aus unterschiedlichen Ländern zu erfahren, was Frauen*streik heute heißt.
Die Rednerin aus London berichtete zunächst von Streiks, wie den der Frauen* aus Deutschland, dem sogenannten „Gebärstreik“, in dem Frauen* dafür kämpften, weniger Kinder zu bekommen, um arbeiten zu können und unabhängiger zu werden. Auch in Nigeria kämpften Frauen* für mehr Rechte, sie kamen unterstützt von ihren Männern in die Städte, um die Bezahlung für ihre Care-Arbeit zu fordern. Der erste allgemeine Streik der Frauen* in Island war mit einer langen Liste von Forderungen verbunden. „Wenn die Frauen streiken, steht die Welt still“, war die Losung der isländischen Frauen*.
Die Rednerin erzählt von ihren Erfahrungen mit dem “global women strike“, der grenzübergreifend sein muss, weil Ländergrenzen Frauen*-Bewegung schwächen. Deshalb müssen auch die Aktionen und Forderungen so vielfältig wie möglich sein, um mit den weltweit unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen* solidarisch umzugehen. Zu den gemeinsamen Themen gehören Klimaschutz und das Ende der Kriege.
Frauen* in der ganzen Welt tragen im erheblichen Maße zum Erhalt der Gesellschaft bei. Was sie dafür erhalten, ist ein Leben in Armut. Frauen* müssen sich des Wertes ihrer Care-Arbeit bewusst werden und für deren Anerkennung und Bezahlung kämpfen. In diesem Kampf werden auch die Männer gebraucht, nicht um für die Frauen* etwas zu machen, sondern um sich an der Care-Arbeit zu beteiligen und die Bewegung im Kampf um eine gerechte Gesellschaft zu unterstützen.
Die spanische Rednerin beschreibt neue Organisationsformen, auf die der Erfolg des spanischen Streiks u.a. zurückzuführen ist. Entscheidungen wurden im Konsens getroffen und zwar in den vier Bereichen: Lohnarbeit, Studentische Bewegung, Konsumstreik und Sorgearbeit. Die Gewerkschaften und die Parteien waren bereit zu einem 30-minütigen Lohnstreik aufzurufen, nachdem es mit monatlichen Plena in Unis, Schulen und Bezirken gelungen war, enormen öffentlichen Druck aufzubauen. Auch nach dem Streik werden weitere Plena durchgeführt, um den Zusammenhalt aufrecht zu erhalten und Abläufe zu analysieren, um für die noch folgenden Streiks Fehler vermeiden zu können.
Die Rednerin aus Thailand berichtet von Erfolgen der Bewegung der Sex-Arbeiterinnen, der es gelungen war, eine gute Krankenversorgung und weitere Verbesserungen durchzusetzen. Als im Jahr 2014 das Militär wieder die Macht übernahm, wurden Versammlungen und Kritik verboten und der weitere Widerstand riskant.
Eine deutsche Gewerkschafterin nennt Themen, die eine wichtige Rolle in gewerkschaftlichen Debatten in Deutschland spielen: Care, sexualisierte Gewalt und Belästigung, der Rechtsruck in der Gesellschaft und damit verbunden die Zunahme frauen*feindlicher Politik. Es ist wichtig, sich mit den vielen organisierten Frauen* in den Gewerkschaften auszutauschen und zu verbünden, um die Themen gemeinsam solidarisch zu bearbeiten und zur Veränderung der Gesellschaft beizutragen.
Die kurdische Vertreterin betont wie wichtig es ist, solidarisch mit Frauen* in der ganzen Welt zu sein und eine umfassende Sicht der Problematik zu entwickeln. Als wichtige Themen benennt sie Kriege in der Welt, den Rechtsruck in der Gesellschaft, den Pflegenotstand, die Gewalt an Frauen*, Besatzung und Morde an queeren Personen. Es stellt sich für sie die Frage, ob über die Streiks als Protestform hinaus noch andere langfristige Widerstandsformen und eigene Organisationsstrukturen entwickelt werden müssen, um Unrecht deutlich sichtbar zu machen und wirksam bekämpfen zu können.
In den USA gab es neben der Occupy-Bewegung u.a. viele feministische und antirassistische Proteste, die häufig auch eine Antwort auf rechte Politik waren, so auch der Women March.
Durch den Bericht aus Chile wurde deutlich, wie groß die Angst der Menschen war, nach Pinochet öffentlich zu protestieren. Studierende und Frauen* trugen den Protest wieder auf die Straße. Es gab einen 2-monatigen Streik gegen die Universität wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung durch Professoren. Außerdem gab es zahlreiche Proteste, die die Gewalt gegen Frauen* und die sexuelle Gewalt anprangerten. Während einer solchen Demo wurden drei Frauen* von Rechten erstochen. Als Reaktion darauf wurden Schulen besetzt. Die Situation der Frauen* in Lateinamerika ist geprägt von zahlreichen Diskriminierungen in vielen Lebensbereichen und solidarische Proteste in Europa sind deshalb hilfreich.
Spätestens nach den Inputs der Refugees aus Afghanistan, Chile, Syrien und von der Elfenbeinküste wurde deutlich, dass der Kampf für Frauen*-rechte ein internationaler Kampf sein muss mit der entsprechenden grenzübergreifenden Vernetzung und Solidarität. Dazu gehören aber auch die Lebensbedingungen der geflüchteten Frauen* hier in Deutschland, die mit unsicherer Bleibeperspektive und ständiger Angst vor der drohenden Abschiebung leben, kaum Möglichkeiten haben, ihre erlittenen Gewalt zu bearbeiten, schlimmer noch, häufig ähnlichen Gewalterfahrungen durch die Security in ihren Unterkünften ausgesetzt sind. Frauen* kennen ihre Rechte nicht und haben kaum Gelegenheit mehr zu erfahren, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Es fehlen nach wie vor Sprachkurse mit organisierter Kinderbetreuung und Rückzugsräume.
Auch wenn in Deutschland die Bereitschaft zur Gewalt an Frauen* gestiegen ist, so ist es für uns nur schwer vorstellbar, dass wir zwangsverheiratet, gehängt oder gesteinigt werden, Gefahren, die Frauen* drohen, wenn sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Außerdem gibt es auch in allen Ländern häusliche Gewalt, in Deutschland wird sie häufig als „Familiendrama“ etikettiert, was die Gewalt gegen Frauen* keineswegs weniger grausam macht.
Der Blick über den eigenen Tellerrand ist schwieriger, wenn wir aus einem anderen Kulturkreis stammen. Ein gegenseitiges Verständnis kann nur durch den regelmäßigen Austausch auf gleicher Augenhöhe erarbeitet werden. Gleiche Augenhöhe und die Illusion kultureller Überlegenheit schließen sich aus.
Für die Fertigstellung eines gemeinsamen Aufrufs wurde ein 6-stufigen Verfahren gewählt, das auch ein Veto zuließ. Auf diese Weise entstand ein Aufruf, der von allen getragen wurde. Die teilnehmenden Frauen* und Queers waren sich einig, dass es den Streik am 8. März 2019 in Deutschland geben wird, dieser soll möglichst viele Frauen* und deren Nöte ansprechen, deshalb werden Menschen mit und ohne bezahlte Erwerbsarbeit angesprochen und an dem Kampf um eine friedliche, soziale und ökologische Gesellschaft beteiligt.
Wird der Streik ausreichen, um die Gesellschaft auf die gewünschte Weise zu verändern?
Ein Streik am Internationalen Frauen*tag allein wird nicht ausreichen, um die angestrebten Veränderungen herbeizuführen. Er hat aber, was ebenfalls notwendig ist, den Charakter eines „Denkzettels“, der die gesellschaftlichen Missstände sichtbar macht und Impulse setzt, die Veränderung herbeiführen können, wenn darüber hinaus kreative Widerstandsformen entwickelt und umgesetzt werden. In vielen Städten gibt es bereits Bündnisse, um diesen Streik zu ermöglichen, auch wenn mit Gegenwind durch die Kapitaleigner zu rechnen ist, deren Hauptinteresse es ist, die Ware Arbeitskraft so billig wie möglich zu erhalten. Das funktioniert nur, wenn die unbezahlte Reproduktionsarbeit weiterhin so unproblematisch wie bisher überwiegend von Frauen* verrichtet wird. Wer das nicht will, sollte dazu beitragen, dass der Streik gelingt, auch wenn darüber hinaus auch noch andere Maßnahmen notwendig sein werden, um die Gesellschaft in der gewünschten Weise zu verändern. Der der Kampf gegen Kapitalismus und Patriarchat gehören zusammen.
Wenn wir nicht noch weitere 100 Jahre warten wollen, bis sich wirklich etwas ändert, werden wir den Druck auf der Straße erhöhen müssen und das geht nur, wenn wir das alle systemübergreifend und auch grenzübergreifend gemeinsam tun nach dem Motto:
„Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still“