Ende Februar soll in Kassel eine sogenannte Strategiedebatte geführt werden, mit der die Partei Die Linke ihren künftigen Kurs bestimmen will. Das Thema wird auch an diesem Sonntag in Berlin auf der Bundesmitgliederversammlung der Antikapitalistischen Linken, einer parteiinternen Strömung, diskutiert. Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die Kasseler Konferenz?
Mit einem großen Wurf rechne ich nicht. Dennoch glaube ich, dass ein Großteil der Leute gemerkt hat, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Die Wahlergebnisse im vergangenen Jahr waren einfach zu schlecht – auch wenn Thüringen und Bremen die Bilanz etwas aufgehübscht haben.
Sind die Gruppen, die den Kurs der letzten Jahre und den Fokus auf Regierungsbeteiligungen zu verantworten haben, geschwächt?
Es ist eher andersherum: Der linke Flügel befindet sich in der Defensive. Das hat viele Gründe. Auf der einen Seite hat die Sammlungsbewegung »Aufstehen« – ein hoffnungsloses Projekt – mehrere Gruppen in der Partei geschwächt. Auf der anderen Seite hat sich in den vergangenen 13 Jahren, seitdem es Die Linke nun fast gibt, auch vieles in der Gesellschaft verändert. Auf den Aufstieg der AfD reagieren zahlreiche Linke hysterisch und sagen: Bevor die Rechten ans Ruder kommen, regieren wir lieber mit SPD und Grünen – oder gar mit der CDU. Das spielt den sogenannten Reformern in der Partei in die Karten.
Welche internen Probleme gibt es im linken Lager?
Derzeit wird es nicht verstanden, gemeinsam zu agieren und die Deutungshoheit zu gewinnen. Ich denke da etwa an den Bonner Parteitag, der vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai stattfand. Dort hatten wir von der Antikapitalistischen Linken klar gegen die EU argumentiert, was auch breit diskutiert wurde. Am Ende waren unsere Positionen aber nicht mehrheitsfähig. Dabei ist der Charakter der EU als einer neoliberalen, undemokratischen und militaristischen Institution offenkundig.
Was wir heute brauchen, ist eine Linke, die die Wahrheit ausspricht. Statt dessen herrschen Illusionen über »rot-rot-grüne« Regierungsprojekte vor. Nach meinem Gefühl orientiert sich die Partei hin zur sogenannten bürgerlichen Mitte. Das ist besorgniserregend, weil das am Ende der AfD in die Karten spielt. Deren Vertreter behaupten regelmäßig, alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien würden letztlich ähnliche Positionen vertreten. Ich will der AfD nicht den Gefallen tun, diese Behauptung durch die politische Praxis zu bestätigen.
Wie soll das gelingen?
Wir müssen den Leuten reinen Wein einschenken und sagen: Innerhalb des bürgerlichen Parlamentarismus gibt es wenig Möglichkeiten, Grundsätzliches im Kapitalismus zu ändern. 50 Prozent und mehr wird Die Linke auf absehbare Zeit nicht bei Wahlen bekommen. Also braucht es den Druck außerhalb der Parlamente, um etwas in Gang zu bringen.
Andererseits ist eine gute linke Oppositionsarbeit in den Parlamenten auch von Vorteil. Wir müssen die Staatsknete abgreifen, wo es geht, und sie den außerparlamentarischen Bewegungen zur Verfügung stellen. Außerdem können mit Hilfe von Anfragen und Regierungsbefragungen sehr wichtige Informationen für die eigene Arbeit gewonnen werden. Des weiteren müssen wir die Parlamente als Bühne für uns nutzen. Zu guter Letzt profitieren Bewegungen auf der Straße davon, wenn linke Abgeordnete als parlamentarische Beobachter auf Demos präsent sind, etwa weil Polizisten weniger gewalttätig vorgehen. Diese Dinge ehrlich zu benennen, das wünsche ich mir von einer linken Partei.
Im Gegensatz zum vergangenen Jahr muss die Partei 2020 kaum mit Wahlschlappen rechnen, denn nur in Hamburg wird im Februar gewählt. Dort könnte Die Linke künftig mit SPD und Grünen regieren. Droht dieser Termin, der eine Woche vor der Strategiedebatte liegt, den linken Kritikern den Schwung aus den Segeln zu nehmen?
Wir müssen deutlich machen, dass Regieren im Kapitalismus immer nur bedeuten kann, zu knappe Ressourcen zu verteilen. Wir werden in diesem System nie allen Menschen gerecht werden können. Deswegen bin ich übrigens auch kein Freund von dem Parteislogan »Menschen vor Profite«. Vielmehr muss es heißen: »Menschen statt Profite«. Das ist der reine Wein, von dem ich gesprochen habe.
Das Interview erschien zuerst in der Tageszeitung Junge Welt.
Tim Fürup ist einer der Bundessprecher der Gruppierung »Antikapitalistische Linke« innerhalb der Partei Die Linke