Die Partei hadert mit ihrer Rolle und Verantwortung

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Geraer Sozialistischer Dialog (GSD): Auswertung des Europaparteitages und der Bundesvertreterversammlung der LINKEN vom 14. bis 16. Februar 2014 in Hamburg

Die EU ist neoliberal, militaristisch und weithin undemokratisch!
DIE LINKE hätte gut daran getan, mit dieser Wahrheit selbstbewußt in den anstehenden Wahlkampf für das Europaparlament zu gehen. Der gesellschaftliche Unmut über die immer offenkundigere Entmündigung der Bevölkerung und selbst der Parlamente durch die Troika, über die Militarisierung der internationalen Beziehungen insbesondere der deutschen Militäreinsätze sowie über die Zerstörung historisch errungener Sozialstaatlichkeit ist ausgeprägt. DIE LINKE hat große Möglichkeiten und Verantwortung, diesem Unmut eine kämpferische progressive Richtung zu geben – durch historisch-analytische Offenlegung der imperialistischen Wurzeln der EU, klare Worte für die soziale Dramatik und damit radikale Änderungsnotwendigkeit der aktuellen Lage sowie einer offensiven internationalistischen Perspektive.
Doch gerade wegen dieses Potentials, aus passivem Unmut aktive Gegenwehr zu machen, war der Druck auf DIE LINKE im Vorfeld ihres Europaparteitags enorm. Medienkonzerne und etablierte Parteien wurden nicht müde, internationalistische Kritik an den EU-Institutionen als „nationalistisch“ und Friedenspositionen als „verantwortungslos“ zu denunzieren. Die Gleichsetzung von Links gleich Rechts musste zudem stets als Allzweckwaffe herhalten.
Der Bundesparteitag in Hamburg hat gezeigt, dass es der jungen Partei Die LINKE mit sehr unterschiedlicher politischer Herkunft, verschiedenen historischen Erfahrungen und regionalen Besonderheiten noch an Klarheit und Einigkeit fehlt, um einem solchen Angriff politisch offensiv zu begegnen. Die Ergebnisse des Parteitags sind entsprechend gekennzeichnet vom Festhalten an Bekanntem. Für das Wahlprogramm sind die Delegierten weitgehend den Vorgaben des Bundesvorstands gefolgt, das Erfurter Programm ist nicht aktuell weiterentwickelt, aber auch nicht unterlaufen worden und die Kandidierendenliste verspricht gegenüber den jetzigen EuropaparlamentarierInnen kaum personelle und damit auch keine politischen Veränderungen.

Alles normal und in Ordnung? Können wir alle zufrieden sein?
Nicht ganz: Erstens ist die Verantwortung der LINKEN im imperialistischen Kernland Europas groß, gerade hier den Bruch mit Austeritätspolitik und Militarismus mit neuen kritischen Ambitionen zu verfolgen – Routine ist unangebracht. Zweitens sind ein entsprechend ungenügendes Wahlprogramm und Kandidierendenliste ganz wesentlich Ergebnisse von Hinterzimmerpolitik. Das reichte bis hin zur Ausnutzung der medialen Angriffe auf DIE LINKE für die Durchsetzung gefälligerer Positionen und Personen. Diese Entmündigung der Mitglieder, Gremien und Organe der Partei ist inakzeptabel.
Für die Zukunft ist vor allem die Linke in der LINKEN gefordert, in neuer Qualität der Solidarität die Initiative für eine stärker offensive gesellschaftliche Opposition der Gesamtpartei zu ergreifen.

Das Wahlprogramm
Diether Dehm, Wolfgang Gehrke und andere hatten dem Parteivorstand und dem Bundesausschuss einen alternativen Entwurf für ein Wahlprogramm vorgelegt, den auch wir als GSD als gute Grundlage einschätzten: „Hier ist stärker der Widerspruch zwischen dem neoliberalen und militärischen Charakter der EU und den Interessen der großen Mehrheit offen gelegt, wird die Gegnerschaft zu Kapital und Rechten angriffslustig aufgenommen und treten deutlicher die sozialen Bewegungen – anstelle der Institutionen – als entscheidender Akteur positiver Veränderung hervor.“ (GSD, Vorbemerkungen zu Änderungsanträgen an die Leitanträge, 27.01.‘14)

Der Parteivorstand hatte in seinem Leitantrag einen Absatz aus dem Alternativantrag übernommen, mit dem die EU als neoliberal, militaristisch und weitgehend undemokratisch attackiert wurde. Besonders daran hängte sich die aggressive Kampagne gegen die LINKE auf, auch weil Gregor Gysi sich öffentlich von der notwendig scharfen Kritik der EU distanzierte (ND vom 4./5.1.2014). Unter diesem Eindruck und wohl auch überrascht von der Heftigkeit der Reaktionen hatte der Parteivorstand seine programmatische Verantwortung kurzerhand abgegeben. Am Ende lag dem Parteitag eine neue Präambel für das Wahlprogramm vor, ausgehandelt zwischen einem sich machtpolitisch gebenden, nicht zimperlichen Realo-Bündnis und dem überrumpelten hessischen Landesverband, mit der die wenigsten glücklich waren. Dort steht so mancher Unfug drin, wie die arg verharmlosende Behauptung, die EU habe „ihr Ziel, Frieden – auch sozialen – zu schaffen und zu erhalten, aus den Augen verloren.“ Um die kritische Beschreibung der Militarisierung und die sozialen Zerstörungen kommt jedoch auch die neue Präambel ebenso wenig herum, wie um die Grundaussage: „Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Er ist kein nachhaltiges Entwicklungsmodell. Ein Umsteuern in der Wirtschaft ist unumgänglich.“

Der Bundesparteitag hat diese Präambel mit deutlicher Mehrheit bestätigt, nachdem der diskussionsmüde Parteivorstand sich dieser Neufassung ohne Gegenstimmen gefügt hatte und auch Exponenten der Linken in der LINKEN „keine großen Differenzen“ postulierten. Unter diesem Harmoniedruck hatten Dehm/Gehrke ihren Alternativantrag auf dem Bundesparteitag zurückgezogen und blieben Bemühungen der AKL und des GSD ohne Erfolg, in diese neue Präambel den umkämpften Satz wieder aufzunehmen und einen kritischen historischen Abriss über die EU einzufügen.
Interessant wäre gewesen, wie der Parteitag wohl abgestimmt hätte, wenn der Parteivorstand an seinem Vorschlag einschließlich der angreifenden Kennzeichnung der EU festgehalten hätte?
Im weiteren Verlauf des Parteitages wurden Änderungen durch Abstimmung vor allem dann vorgenommen, wenn sie weitgehend harmlos blieben. Eindeutig linke Änderungsanträge fanden – sobald Einwände von „Beauftragten“ des Parteivorstandes erhoben wurden – ebenso wenig Mehrheiten, wie explizite Anträge des forum demokratischer sozialismus. Einige positive Veränderungen konnten dennoch erreicht werden, weil der Parteivorstand manches übernommen hatte. So steht im nun beschlossenen Wahlprogramm eine Forderung nach offenen Grenzen für alle Flüchtlinge, verbunden mit politischen und sozialen Rechten, die über die Position im Erfurter Programm deutlich hinaus geht.
Wie sehr mancher Delegierte eine stärker systemkritische Position der LINKEN befürwortet, wenn nur nicht er oder sie dafür öffentlich gerade stehen muss, zeigte sich bei dem Beitrag von Wolfgang Gehrke zu Beginn der Generaldebatte. Hier teilte er nicht nur mit, den alternativen Leitantrag zurückzuziehen, sondern kündigte zugleich an, den Text in Massenauflage für den Wahlkampf zu drucken. Der Applaus war groß, Unmutsäußerungen waren keine zu hören.

Die KandidatInnenliste

Die Parteitagsregie war mit einer durch diverse Events unterbrochenen viel zu kurzen und bemerkenswert selektiven Generaldebatte, dem bereits bekannten, begrenzt demokratischen und inhaltlichen Antragsverfahren sowie dem würdelosen Geschacher um die Präambel darauf gerichtet, dass die Kontroverse zwischen systemkonformer Schönfärberei der EU und weiterreichendem oppositionellem Veränderungswillen nicht voll entfaltet werden sollte.
Entsprechend entpolitisiert war die darauf folgende Aufstellung der Kandidierenden. Zudem hatten einige realpolitische Amtsträger der Partei ihre Funktionen dafür genutzt, über die Medien eine Alternativliste zu dem Vorschlag des offiziell dafür zuständigen Bundesausschusses zu lancieren. Gegenüber dieser Liste mit mehr linken und außerparlamentarisch orientierten Vertretern konnten sich deswegen teilweise KandidatInnen aus dem Realo-Lager durchsetzen, auch weil sie den Amtsbonus ihrer bisherigen Tätigkeit im EU-Parlament in Anschlag bringen konnten. Eine vermeintliche Ost-West-Quote spielte dabei als instrumentelles Hilfsargument bisweilen eine größere Rolle als politische Unterschiede.

Gegenüber der aktuellen EU-Parlaments-Delegation ändert sich mit der neuen Kandidierendenriege zunächst wenig:
Der missionarisch-antikommunistische Jürgen Kluthe wird durch den gemäßigten Reformer Martin Schirdewan ersetzt und für die SL steht nun Fabio De Masi statt Sabine Wils auf der Liste. Dennoch: Mit Sabine geht der Delegation die in der Bewegung verankerte unverbrüchliche Opposition zur brutalen Sozialpolitik und der Privatisierung verloren. Der durch den Bundesausschuss auf Platz 2 der Liste gesetzte Tobias Pflüger schied nach dem „Durchreichen“ bis auf Platz 4 aus. Damit fehlt der anerkannte friedenspolitische Aktivist der LINKEN für notwendiges friedenspolitisches Wirken im Parlament der EU. Im Aufeinandertreffen allerdings des bekennenden fds-Realos Dominik Heilig mit Fabio De Masi als Vertreter des linken Flügels erhielt letzterer eine knappe Mehrheit auf der VertreterInnenversammlung. Das kann optimistisch stimmen für den anstehenden Bundesparteitag, auf dem dann alle gewählten Parteitagsdelegierten, auch die der Zusammenschlüsse und des Jugendverbandes, mit abstimmen. Hier muss die Linke wieder offensiver werden und die Machenschaften der Realos in die Schranken weisen.

Fazit
Eine der Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche entsprechende Radikalisierung der LINKEN ist sinnvoll und notwendig. Der alternative Entwurf für das Wahlprogramm und die vom Bundesausschuss vorgeschlagene Kandidierendenliste hätten dieser angebrachten Linksentwicklung entsprochen. Die ist nun leider noch nicht gelungen, auch weil die Linke in der LINKEN bisweilen noch zu bescheiden ist. Wir können uns dem Sprecherrat der KPF diesbezüglich nur anschließen: „Die Vorbereitung auf den Europaparteitag, war bei Weitem nicht optimal. Es fehlte an Koordinierung, besonders – aber nicht nur – in inhaltlichen Fragen.“

Es gilt jetzt nach vorn zu blicken. Der nächste Parteitag bereits vom 9. bis 11. Mai 2014 in Berlin, steht „vor der Tür“. Zwei Wochen vor der Wahl zum Parlament der Europäischen Union am 25. Mai. Dazu gilt es sich schnellstens vorzubereiten, bevor die ersten Dokumente und Vorlagen so geschnürt sind, dass es schwer sein wird, sie wieder aufzuschnüren. Das trifft sowohl auf die zu beschließenden Dokumente, die vorgesehenen Satzungsänderungen als auch auf die Vorschläge zur Neuwahl des Parteivorstandes und weiterer Gremien zu. Die AKL, die KPF, das Marxistische Forum, die AG Cuba Si, der GSD und weitere, müssen sich zusammenfinden, um zum gemeinsamen Handeln zu gelangen.

SprecherInnen- und Koordinierungsrat des Geraer Sozialistischer Dialog
28. Februar 2014

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