von Thies Gleiss
Es ist schon eine Posse der Geschichte, dass einzig in der „tageszeitung“, diesem ehemals spannenden Projekt linker Zeitungsmacherei, das selbst eine politische Entwicklung von radikaler Systemopposition, Geldsammlungen für Waffen von Befreiungsorganisationen, egalitärer Redaktionsverfassung, Einheitslohn und den berühmten „Säzzerkommentaren“ hin zu einer liberalen Mainstreamzeitung und Sprachrohr der GRÜNEN durchgemacht hat, ein angemessener Kommentar stand zur Ankündigung von Dietmar Bartsch, nicht mehr für das Amt des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag kandidieren zu wollen. Alle anderen Medien veröffentlichten Nachrufe nach dem strapazierten Motto, über Tote nichts Schlechtes. Aus den Reihen der LINKEN selbst kam auch nur bigottes Zeugs gleicher Couleur.
Dietmar lebt aber noch, und ich wünsche ihm ein langes Leben. Trotzdem bleibt richtig, es ist ein Glücksfall für die LINKE, dass er jetzt endlich abtritt. Ein glanzloser Abgang eines glanzlosen Politikers, wie die taz zusammenfasste.
Es gehört zur Erfolgsgeschichte der LINKEN, dass es immer genügend Kräfte in der Partei gab, die dafür sorgten, es nicht so zu machen wie Dietmar Bartsch es wollte.
Zu Zeiten der PDS wurde mehrfach verhindert, schon vor Jahren die Positionen zu Nato, Bundeswehr, Kriegsgefahr im Kapitalismus und Aufrüstung zu schleifen – immer gegen Dietmar und seine Regierungssozialist:innen. Heute gibt es diese Herausforderung immer noch und wieder verschärft. Der Abgang von Dietmar könnte heute hilfreich sein, die konsequente Haltung gegen den Krieg beizubehalten.
Die Regierungsbeteiligungen oder Duldungen von bürgerlichen Regierungen in den Ländern, von Sachsen Anhalt, über Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin bis zu Thüringen und Bremen sind in der Summe maßgeblich dafür verantwortlich, dass es in Deutschland keine systemkritische linke, antikapitalistische Partei mehr gibt, sondern nur noch Varianten des Sozialdemokratismus. Das wird durch keine aufgebauschte Bartsch-Kampagne nach dem Motto „Links wirkt“ oder gerade noch erträgliche Einzelentscheidungen dieser Regierungen ausgeglichen. Leider wirkt Links nicht – das ist die simple Schlussfolgerung bei Wähler:innen und Mitgliedern aus der Realität der Bartsch-Partei.
2002 stand dieses Parteikonzept bereits einmal am Ende. Das wurde durch die Fusionsdiskussionen mit der WASG und Gründung der LINKEN 2004-2007 verhindert. Bei und vor allem mit dieser Gründung setzte sich der Anti-Bartsch-Kurs zum Glück in der Praxis durch. Statt eine SPD 2.0 und Regierungsspielen, ob in der Regierung oder in der Opposition, kam es zu einem kleinen Lafontaine’schen Aufschwung im Selbstbewusstsein einer authentischen linken Partei. Bartsch wurde in die zweite Reihe gedrängt, was ihn und seine Getreuen nicht abhielt, unermüdlich seinen alten Kurs wieder zu beleben – und seine parteiinternen Intrigen weiter zu spinnen.
2011 wurde Bartsch erfolgreich in seinen Ambitionen gestoppt, die Parteiführung zu übernehmen. Wer es nicht mehr weiß: Sahra Wagenknecht, Lafontaine, Bernd Riexinger, und ihre Unterstützer:innen, auch die AKL, sorgten für einen kleinen Aufschwung der LINKEN.
Ab 2017 zerbrach das Anti-Bartsch-Lager, weil sich insbesondere Sahra Wagenknecht und immer mehr von außen auch Oskar Lafontaine für eine besondere, deutsch-nationale Variante der SPD 2.0 entschieden (Modell Sozialdemokratie Dänemark).
Dem alten Intriganten Bartsch kam das gelegen und er bastelte fortan an seinem „Hufeisen“ mit Wagenknecht und Anhang, obwohl sie sich nichts zu sagen hatten. Damit sollte wenigstens die Beutegemeinschaft der Fraktion im Bundestag und ihrer Bürokratie abgesichert werden.
Im Wahlkampf 2021 putschte die Gruppe um Bartsch gegen den mehrheitlich beschlossenen Kurs und propagierte den alten Schmarrn einer „rot-rot-grünen Regierung“. Es wurde der schönste und blödste Spruch in Dietmars Karriere kreiert: „Die SPD aus dem Gefängnis bei der CDU befreien“.
Seit 2021 stürzt die LINKE in das Desaster, was bereits 2002 vor der Tür stand. Das strategische Projekt einer „R2G-Regierung“ ist restlos gescheitert.
Dietmar betreibt seitdem nur eine eklige Politik des Machterhaltes. Sein Ziel, das für die parlamentarische Blase erfolgreiche Hufeisen-Modell auch außerhalb des Parlaments zu etablieren ist nicht zu erreichen, weil es im wirklichen Leben dafür keine Basis gibt. Die schrägen Solonummern von Sahra Wagenknecht haben ihren Teil dazu beigetragen und letztlich auch Dietmar entnervt.
Was jetzt tun?
Offenkundig findet sich kaum eine und einer, die den neuen Fraktionsvorstand machen wollen. Das ist doch super. Endlich eine Gelegenheit, mit diesem ganzen musealen und bürokratischen Muff von 16 und mehr Jahren aufzuräumen. Wie wäre es mit einer Abschaffung der Vorsitzendenposten und Aufbau egalitärer Fraktionsstrukturen? Um organisatorische Pflichten zu erfüllen, könnte jeweils für sechs Monate ein Koordinierungsgremien ausgelost werden, so das alle einmal drankommen.
Höre ich da wieder die alte Leier, das wäre doch alles nicht möglich, die anderen Parteien würden es doch auch so wie früher machen?
Na denn. Dann bleibt nur Plan B. Dann sollte der Ist-Zustand von heute formalisiert werden. Das Bartsch-Lager ist seit Jahren bestens damit vertraut, die Hauptstadt-Medien und ihre Journaille mit brühwarmen Internas zu versorgen.
Dann könnte doch gleich Kollege Timo Lehmann von „Spiegel-Online“ zum neuen Fraktionsvorsitzenden erklärt werden….