Zum Ausgang der Landtagswahlen in Hessen und Bayern

Print Friendly, PDF & Email

RECHTSRUCK VERFESTIGT – ES WIRD EKLIG

(Erklärung des Bundessprecher:innenrates der AKL)

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Bayern vom 08. Oktober 2023 sind eindeutig:

– Die rechten und ultrarechten Kräfte, namentlich die Freien Wähler und die AfD, bestimmen die Wahlen und heimsen den Sieg nach Wahlstimmen ein. Ihr zentrales Thema, die Migration und Flucht als angebliche Bedrohung Deutschlands, hat den Wahlkampf bestimmt. Alle Parteien passten sich diesem Druck an und befeuerten auf ihre Weise die Erzählung, es gäbe zu viele Zuwanderer und Zuwanderinnen in Deutschland.

– Die Wahlbeteiligung ging leicht zurück, aber insbesondere die „Alternative für Deutschland (AfD)“ war davon weniger berührt. Die AfD konnte ihre hohen Umfragewerte vor den Wahlen fast ungebrochen in echte Stimmen umwandeln und ihre Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Kein „Skandal“ führender Mitglieder der AfD oder auch bei den Freien Wählern mit Hubert Aiwanger konnte diese starke Mobilisierung trüben.

– Die Parteien, die in Berlin die Ampel-Regierung stellen, wurden abgestraft. Ihre Wählerinnen und Wähler gingen zur AfD oder den Freien Wählern in Bayern, oder sie blieben zuhause. Diese Landtagswahlen waren mehr als sonst Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und von bundespolitischen Themen.

– Auch die traditionelle Führungskraft im konservativen Lager und Regierungspartei in Hessen und Bayern, die CDU beziehungsweise CSU, verlor in Bayern leicht an Zustimmung und konnte in Hessen nicht an frühere Ergebnisse anknüpfen.

– Die SPD erlebt als Kanzler-Partei den nächsten Schub auf ihrer historischen Abwärtsbewegung und erreicht die schlechtesten Ergebnisse in ihrer Geschichte. Sie muss sich langsam daran gewöhnen, ein Schicksal wie die italienische oder französische Sozialdemokratie erleiden zu können.

– Die GRÜNEN müssen eine empfindliche Dämpfung ihrer Hoffnungen und konkreten Bemühungen der letzten Jahre verkraften, in Deutschland die führende bürgerliche Partei und anerkannte Interessensvertretung der herrschenden Kapitalistenklasse zu werden. Sie werden als Haupttäterin der realen Regierungspolitik bestraft. Ein Schicksal, das die Partei mit der FDP teilt, die aber schon seit Jahrzehnten daran gewöhnt ist, ihre spezifische Rolle als radikal-bürgerliche Kapitalinteressenvertretung immer wieder neu zu definieren.

Wo ist die LINKE?

Das Ergebnis der LINKEN ist deprimierend, aber alles andere als überraschend. Ihr Stimmenanteil ist in beiden Bundesländern noch einmal halbiert worden. Sie ist quantitativ fast auf dem Niveau kleiner Propagandaparteien angelangt, die mit spezifischen Themen und Projektionen bei jeder Wahl in verschiedenen Ausführungen antreten. Das wurde bei der LINKEN allerdings mit einem politischen Programm erreicht, das mit dem Anspruch angetreten ist, massentaugliche Realpolitik machen zu wollen und zu können, und zumindest in Hessen auch auf dem Hintergrund einer fünfzehnjährigen Präsenz als Parlamentspartei. Das Ganze wurde „erkämpft“ mit einem professionellen Apparat und immer noch sehr üppigem Wahlkampfbudget für Flyer, Plakate, Videos und Blogs.

Die LINKE als „The Great Pretender“ im Wahlkampf war schon immer ein Grundproblem dieser Partei. Sie hat ein von Wahlkampf zu Wahlkampf immer „konkreter“ und detaillierter werdendes Programm, in dem auf fast jeder Seite deutlich wird, dass zur Durchsetzung auch nur einzelner Punkte aus diesem Programm eine soziale Revolution nötig ist. Aber statt darauf auch nur einmal hinzuweisen, gab es die realpolitischen Versprechungen, durch parlamentarische Initiativen oder gar Regierungsprojekte mit anderen Parteien schon genügend dafür zu sorgen, dass „Links wirkt“.

Daraus entsteht ein strukturelles Maulheldentum, dass für die LINKE typisch ist. Das ist für sich genommen schon ein Problem. , Aber je länger es andauert, untergräbt es die Glaubwürdigkeit der Partei zusehends.

Wenn eine solche Selbstdarstellung dann noch mit einer Parteirealität zusammentrifft, die von Mitgliederschwund, hochgradiger Zerstrittenheit und – schlimmer noch – Beliebigkeit in der Praxis, von undemokratischen Intrigen und Machtkämpfen bestimmt wird, dann wird eine solche linke Partei völlig unglaubwürdig und höchstens noch Gegenstand von Zynismus und Satire. Nichts wird einer LINKEN dann noch abgenommen, egal, was sie sagt oder macht.

Der LINKEN ist eine kollektive Identität als radikale, sozialistische Veränderungskraft ebenso abhanden gekommen wie als überhaupt handlungsfähige, einem Programm und Prinzipien verpflichtete Partei. Das ist die bittere Realität hinter den Wahlergebnissen.

In Hessen schmerzt dies besonders, weil der Verlust einer Landtagsfraktion nicht nur materielle Verluste bedeutet, sondern auch ein symbolischer Vorgang ist, der die Niedergangsbewegung noch einmal unterstreicht und antreibt.

Jetzt werden von verschiedenen Seiten Gründe und – typisch für eine politische und moralische Krise – vor allem „Schuldige“ für den Absturz der LINKEN gesucht. Das wird den Zersetzungsprozess allerdings nur beschleunigen. Es gibt keinen besonderen Verantwortlichen oder Verantwortliche, weder die Genossin Wagenknecht noch „der Parteivorstand“ oder die „Vorsitzenden“. Die Gesamtheit der Entwicklung der LINKEN ist der Grund für den Misserfolg, und alle haben dafür ihren Anteil, weil sie keine glaubwürdige Perspektive geboten haben.

Keine glaubwürdigen Angebote

Keine der bisherigen Vorschläge zur Behebung der Krise der LINKEN sind besonders tauglich. Das Projekt einer Mehrheit aus Parteivorstand und Fraktion, aus der LINKEN eine „Partei der sozialen Gerechtigkeit“ oder eine „Sozialstaatspartei“ zu machen drückt sich vor der Realität einer Klassengesellschaft, in der Begriffe wie „gerecht“, „fortschrittlich“ oder „demokratisch“ immer in einer Klassenperspektive gesehen werden müssen. Oder konkret: Wer die Eigentumsfrage nicht nur stellt, sondern beantworten will, muss ziemlich ungerecht und undemokratisch mit der heute herrschenden Klasse umgehen. „Partei der sozialen Gerechtigkeit“ ist nichts als ein sozialdemokratisches Etikett, das schon bei der ersten größeren Auseinandersetzung abblättert.

Genauso wenig überzeugend ist allerdings die ökonomistisch sozialdemokratische Alternative, die von Sahra Wagenknecht und ihrer Gruppe vorgeschlagen wird. Sie spekulieren mit der Illusion, dass es irgendwann einen „gerechten“ oder, um das Lieblingswort in diesen Kreisen zu benutzen, „normalen“ Kapitalismus geben könnte, in dem die Arbeiterklasse ihren gerechten Anteil einstreichen kann. Eine solche Vorstellung wird schon in sehr kurzer Zeit an der Frage der Migration und einer internationalistisch-solidarischen Antwort darauf ihren Offenbarungseid leisten.

Die LINKE wird nur dann eine Zukunft haben, wenn sie sich programmatisch und strategisch wieder auf ein klares, radikales politisches Projekt als Alternative zum Kapitalismus orientiert. Das kann in Kriegs- und Krisenzeiten des Kapitalismus nur ein Projekt des Ökosozialismus, eines konsequenten Internationalismus und des Ausbaus der Demokratie sein. Gleichzeitig kann ein solches Projekt nur dann in den Köpfen und Herzen von neuen Tausenden von Mitgliedern verankert werden, wenn sich eine so definierte linke Partei in der wirklichen Gesellschaft, im Stadtteil, den Betrieben und den sozialen Bewegungen strukturell aufbaut.

Sofortaufgabe gegen Rechts

Unabhängig vom Schicksal der Partei DIE LINKE zeigt der Ausgang der Wahlen vom letzten Sonntag allerdings, dass die Linke vor einer zentralen Aufgabe steht. Der Aufstieg der rechten, rassistischen und nationalistischen Kräfte und die Unterstützung beziehungsweise Duldung, die diese Kräfte in den anderen Parteien erfahren, ist für die Linke, für Gewerkschaften und für die gesellschaftlichen Sektoren, die nicht „der Norm“ entsprechen, eine große Bedrohung. Es kann ziemlich eklig werden. Die physischen Angriffe auf Behinderte, Migrant:innen, Frauen, sozial Engagierte und Gewerkschafter:innen werden wieder zunehmen. Die Zustimmung bei den Wahlen ist für die radikalen und zu entsprechender Praxis bereiten Kräfte in der AfD und anderen rechten Gruppierungen eine Ermutigung, aktiv zu werden.

Die linken Kräfte im weitesten Sinne müssen sich darauf vorbereiten. Schutz- und Solidaritätsstrukturen werden nötig sein. Allen voran eine neue breite Solidarität mit geflüchteten Menschen, die es nach Deutschland oder Europa schaffen.

Dieser Kampf gegen Rechts wird auch stark die gewerkschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen beeinflussen.

Wir von der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN hoffen, dass es vor allem diese Aufgabe sein wird, die aus den Resten der heutigen LINKEN wieder eine handlungsfähige sozialistische Kraft formen wird.

10. Oktober 2023

Bundessprecher:innenrat der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN