Stellungnahme des Bundessprecher*innenrates der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN zu ihrem Europaparteitag vom 17.-19. November 2023
Drei Tage lang hat sich Die Linke getroffen. Im neuen Gewand, neudeutsch „corporate design“ genannt. Nachdem 15 Jahre lang die Journalisten ermahnt wurden, die Eigenschreibweise DIE LINKE. zu übernehmen, hat der Parteiapparat sich jetzt der Realität gebeugt und mit viel Aufwand ein neues Logo entwickeln lassen. Das Schicksal der Linkspartei wird sich daran allerdings nicht entscheiden. Oder war es nur der Versuch nach der Abspaltung von einer um Sahra Wagenknecht versammelten Gruppe in neuem Licht zu strahlen?
Auf jeden Fall war das Gespenst dieser Abspaltung auf dem Parteitag wenig wahrnehmbar. Es sollte Optimismus und ein Neubeginn ausgestrahlt werden. Kritische oder nachdenkliche Diskussionen waren ungewünscht. Dabei erfordert die politische Lage in Deutschland, der EU und dem Rest der Welt, die Zunahme der Krisen und Kriege eine umfassende Analyse und Diskussion über den Zustand der Welt und die Aufgaben einer linken sozialistischen Partei.
Wichtiger war dem Parteiorganisationsstab und dem Parteivorstand die Debatte zum Wahlprogramm zur Europawahl 2024. Es steht unter dem Titel „Zeit für Haltung. Zeit für Gerechtigkeit. Zeit für Frieden.“ Auf wie gewohnt viel zu vielen Seiten umfasst es eine ganze Latte an großen und kleinen mehr oder weniger wünschenswerten Vorschlägen, wie eine „bessere EU“ aussehen könnte. Aber auf den vielen Seiten wird nicht klar, was hier im Land und was in der EU umsetzbar sein wird.
Ein Wahlprogramm sollte vor allem zwei Funktionen erfüllen: Es muss den Menschen, die zur Wahl gehen wollen, erklären, warum die LINKE gewählt werden soll und was die Partei zu den großen anstehenden Fragen zu sagen hat. Und das Programm muss zweitens der Partei und ihren Anhänger*innen, die Wahlkampf machen sollen, eine politische Identität stiften, was die Botschaften im Wahlkampf sein sollen.
Beide Funktionen erfüllt das beschlossene Programm leider nicht.
Eine Analyse, was diese EU eigentlich ist, sucht man im Programm leider vergeblich. Es wird die Realität der EU – ihre Vertragsgrundlagen, ihre konkrete Politik und ihr tägliches Funktionieren – in allen Facetten kritisiert. Das ist gut. Gleichzeitig wird jedoch kritiklos die Erzählung übernommen, die EU wäre ein Friedensprojekt und ein demokratischer Fortschritt gegenüber den alten Nationalstaaten. Das ist nachweisbar falsch, weil es in keiner Weise den Tatsachen entspricht. Die alte Feststellung, dass die EU undemokratisch, neoliberal und militaristisch ist, kann und muss im Jahre 2023 mit noch viel mehr Berechtigung erneuert werden.
Die AKL hat vor dem Parteitag in ihrem Magazin „aufmüpfig“ den Programmentwurf des Parteivorstandes kritisiert. Nichts ist davon in der beschlossenen Endfassung aufgegriffen und verbessert worden. (https://antikapitalistische-linke.de/?p=4724#more-4724)
Mit einem Programm, das gleichzeitig für und gegen die EU sein will, werden unsere Wähler*innen ganz sicher ein weiteres Mal demobilisiert und bleiben wahrscheinlich zuhause.
Und auch mit der zweiten Funktion eines Wahlprogramms sieht es nicht viel besser aus. Wer ist die LINKE? Was ist ihr grundsätzliches Ziel und ihre Alternative zu allen anderen Parteien?
Im Entwurf des Parteivorstands kam das Wort „Sozialismus“ gar nicht mehr vor. Die Endfassung liegt noch nicht vor, angeblich wurde durch die (Teil)Übernahme von Änderungsanträgen das Wort noch eingebaut, aber am grundsätzlichen Defizit, in welche umfassende gesellschaftsverändernde Strategie die LINKE ihre Wahlkämpfe stellt, wie die radikalen Änderungen, die wir einfordern, umgesetzt werden können, ändert das nichts.
Zur Widersprüchlichkeit des Parteitags gehört, dass in den Wortbeiträgen und Debatten immer und immer wieder von „Sozialismus“ und „sozialistisch“ gesprochen wurde, in deutlichem Kontrast zum Programm. Obwohl es ein „Europaparteitag“ war und ein EU-Wahlprogramm beschlossen wurde, spielte die EU jedoch eine eher geringe Rolle in der Debatte. Es schien fast, als würden sich die meisten Delegierten nicht wirklich für die EU interessieren. Eine kleine Gruppe sieht dagegen unverdrossen in der EU nach wie vor ein irgendwie fortschrittliches, tolles Projekt.
Einer klaren sozialistischen Linie folgt das Programm leider nicht. Die AKL hatte deswegen eine alternative Präambel beantragt, die jedoch nicht angenommen wurde. Es gab noch drei weitere Alternativ-Einleitungen, die in eine ähnliche Richtung wie die der AKL gingen. Alle alternativen Präambeln wurden in der undemokratischen Blockabstimmung gesammelt und ohne Einzeldiskussion abgelehnt.
Außen- und friedenspolitisch bleibt das Programm den Formelkompromissen des Erfurter Parteitag 2022 verhaftet, trotz der großen weltpolitischen Ereignisse, insbesondere in den letzten zwei Jahren. In den Vorgesprächen war von Seiten des Parteivorstands im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg und den westlichen Russland-Sanktionen stets ein vielsagender Satz zu hören: „Das mag in der Realität anders sein, aber wir haben dazu einen Parteitagsbeschluss vom letzten Jahr und der ist nach wie vor gültig.“ Es gab also weder eine wahrnehmbare Links- noch Rechtsverschiebung in den großen Streitfragen. Aber wenn nach anderthalb Jahren Krieg um die Ukraine dieser nicht als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO auf dem Boden der Ukraine eingeordnet wird und stattdessen von Putins Krieg die Rede ist, sind solche Beschlüsse in keinem Fall auf der Höhe der Zeit.
Am späten Freitagabend wurde dann doch noch eine Nahost-Debatte zugelassen, die gerne vom Parteivorstand vermieden worden wäre. Eine große Gruppe von Mitgliedern und Delegierten hatte einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, der sowohl den Überfall der Hamas als auch die Blockade und die massive Bombardierung des Gazastreifens durch die israelische Armee verurteilte und Waffenstillstand und Friedensverhandlungen forderte. Nach Verhandlungen mit dem Parteivorstand gab es einen Kompromiss zwischen verschiedenen Dringlichkeitsanträgen zum Thema. Zentral ist in diesem Kompromiss-Antrag die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand. Der Terror von Hamas und Israel wird verurteilt sowie die Freilassung der Geiseln gefordert. So richtig glücklich ist mit dem Kompromiss niemand, laut und öffentlich dagegen toben aber nur die üblichen Anhänger*innen der bedingungslosen Loyalität zur Regierung in Israel, wie u.a. der ehemalige Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer.
In diesen Diskussionen wurde erneut deutlich, dass die LINKE zu einer anderen Diskurskultur kommen muss, wie wir es von der AKL wiederholt eingefordert haben. Der von Parteitagsregie, Parteivorstand und sonstigen äußeren Kräften aufgezwungene Kurs, alles muss harmonisch und einmütig ablaufen, ist unpolitisch, wird der Situation der LINKEN auch nach der Abspaltung des Wagenknecht-Blocks nicht gerecht und zerstört jede Aufbruchsstimmung. Die LINKE soll sich zu unterschiedlichen Positionen und auch Strategien bekennen, aber sie muss in demokratischen Abstimmungsprozessen deutlich machen, was Mehrheit und was Minderheit ist.
In der zweiten Hälfte des Parteitags, formal der Vertreterversammlung, ging es um die Wahl der Kandidierenden-Liste zur Europawahl. Die ersten vier von den Parteivorsitzenden medial bereits gesetzten und vom Bundesausschuss vorgeschlagenen Listenplätze wurden gewählt. Auf den Parteivorsitzenden Schirdewan folgt die parteilose Aktivistin Carola Rackete. Ersterer vermischt damit erneut sein Amt als Parteivorsitzender und Mitglied der EP-Fraktion. Die AKL fordert seit langem die Trennung von Amt und Mandat. Die zweite sorgte im Vorfeld des Parteitags für einige Furore, als sie sich den Vorwurf bürgerlicher Antikommunist*innen zu eigen machte, die Linke habe eine mangelhafte SED-Aufarbeitung. Dazu schlug sie zum Abschluss der „Erneuerung“ noch eine Umbenennung der Partei vor. Für ihr Unwissen über die Geschichte der Partei entschuldigte sie sich in ihrer Bewerbungsrede. Sie erhielt ohne Gegenkandidatur 77% der Stimmen. Carola Rackete ist vor allem bekannt, weil sie als Kapitänin eines Seenotrettungsschiffs im Mittelmeer ohne Genehmigung der italienischen Rechtsregierung den Hafen von Lampedusa anlief und später verhaftet wurde. Inzwischen hat sie sich als Klimaaktivistin einen Namen gemacht und möchte für dieses Thema im Europaparlament streiten.
Auf Platz drei wurde die von uns unterstützte Özlem Alev Demirel gewählt. Wir gratulieren ihr sehr herzlich zur Wahl! Özlem erhielt ein Ergebnis von 62%. Als einzige bei den ersten vier Plätzen gab es gegen Özlem eine halbwegs ernsthafte Gegenkandidatur von einem Parteivorstandsmitglied. Özlem engagiert sich vor allem gegen die Militarisierung der EU und für Frieden in der Ukraine, im Nahen Osten und gegen alle Kriege!
Auf Platz fünf kandidierten Daphne Weber aus dem Parteivorstand, mit der wir an verschiedenen Stellen zusammengearbeitet haben, Ines Schwerdtner von Jacobin mit dem Themenfokus Betrieb und Gewerkschaft, die auch auf AKL-Treffen als Referentin auftrat, sowie Frederike-Sophie Gronde-Brunner aus dem klassischen Reformerflügel. Bemerkenswert ist, dass Daphne und Ines im ersten Wahlgang zusammen auf 80% kamen, die klassischen Reformer also marginal blieben. Durchgesetzt hat sich am Ende Ines Schwerdtner. Wir begrüßen ihre Schwerpunktsetzung auf Arbeit und Soziales, sind aber gespannt, ob sie diese Themen auch konsequent antikapitalistisch ausfüllen wird.
Im weiteren Verlauf der Liste setzten sich, sofern es eine ernsthafte Auswahl gab, die eher linken Kandidatinnen und Kandidaten durch. Leider wurde auf Listenplatz 10 ohne echte Gegenkandidatur ein Befürworter der Krankenhausschließung in Bremen gewählt. Hier müssen wir als AKL in Zukunft darauf achten, wählbare Gegenkandidaturen zu organisieren. Herzlich gratulieren wir unserer AKL-Genossin Hanna Wanke aus Bayern, die mit 86% auf Platz 11 der EU-Liste gewählt wurde.
Die Mitgliederentwicklung nach dem Parteitag ist stark positiv, insbesondere wegen eines Masseneintritts (selbsternannter) „Linksradikaler“, die sich überwiegend in Berlin konzentrieren. Die meisten Landesverbände melden vermehrte Eintritte. Unsere Aufgabe wird es sein, bei den zahlreichen Neumitgliedern für eine antikapitalistische Linke zu werben und sie in linken Zusammenhängen einzubinden.
Die AKL hat ihre Befürchtung geäußert, dass mit einem Programm, das zur wichtigsten Frage der Wahl Ja und Nein gleichzeitig sagt, nur schlecht ein wirkungsvoller Wahlkampf möglich sein wird. Wir hoffen, dass wir uns irren und werden nichtsdestotrotz mit allen Kräften am Wahlkampf mitwirken.
Mann und Frau können im Übrigen jederzeit in die AKL eintreten. Wir händeln die Mitgliedschaft anders als der neugegründete Wagenknecht-Verein.